Nicht noch flexibler
Arbeitsforscher plädiert für eine 40- statt der 48-Stunden-Woche im Arbeitszeitgesetz
Die Arbeitgeber fordern, den Acht-Stunden-Tag aus dem Arbeitszeitgesetz zu streichen. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) wollte den Tarifpartnern ermöglichen, mit flexibleren Regelungen zu experimentieren. Das ist erst einmal gescheitert. Arbeitsforscher Steffen Lehndorff erklärt, warum er für strengere gesetzliche Vorschriften plädiert.
DRUCK+PAPIER: Die Arbeitgeber sagen, dass der gesetzliche Acht-Stunden-Tag für das Zeitalter der Digitalisierung zu unflexibel sei. Sehen Sie das auch so?
Lehndorff: Die Argumente der Arbeitgeber sind nicht überzeugend. Die Beschäftigten dürfen nicht zum bloßen Anhängsel der elektronischen Verkettung werden. Ich finde, dass soziale Grundstandards als Eckpfeiler feststehen müssen. Und dazu gehört der Acht-Stunden-Tag.
Muss mich das interessieren, wenn in meinem Tarifvertrag kürzere Arbeitszeiten stehen? Die Arbeitgeber beteuern doch, dass sie die tarifliche 35- oder 38-Stunden-Woche nicht in Frage stellen.
Was die Arbeitgeber fordern, würde Tür und Tor öffnen für noch mehr ständige Erreichbarkeit – mit vielen negativen Folgen für die Gesundheit der Beschäftigten und auch für die Geschlechtergerechtigkeit im Erwerbsleben. Schon heute arbeiten viele Beschäftigte deutlich länger, als es im Tarifvertrag steht, während insbesondere Frauen in der Teilzeit- oder Mini-Job-Falle stecken. Das würde weiter zunehmen.
Steffen Lehndorff , Volkswirt und Mitarbeiter der Forschungsabteilung »Arbeitszeit und Arbeitsorganisation« im Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen
Ist es deshalb eine gute Nachricht, dass es das geplante Experimentieren mit flexibleren Arbeitszeitregelungen erst einmal nicht geben wird?
Unter den gegebenen Voraussetzungen, ja. Die Idee war ja, wieder für eine größere Verbreitung von Tarifverträgen zu sorgen, indem man auch tarifvertragliche Abweichungen vom Arbeitszeitgesetz erlaubt. Ein durchaus richtiger Gedanke. Aber im Moment wäre das ein Schuss in den Ofen. Denn ein Arbeitgeber, in dessen Betrieb 42 oder 45 Stunden gearbeitet wird, wird sich keinem Tarifvertrag mit einer 38- oder 35-Stunden-Woche unterwerfen, nur damit er flexibler werden kann bei der Arbeitszeit. Damit das funktioniert, bräuchte es rigidere gesetzliche Regelungen.
Was schlagen Sie vor?
Ich plädiere dafür, eine durchschnittliche Wochenarbeitszeit von 40 Stunden gesetzlich festzuschreiben. Dadurch könnten lange Arbeitszeiten im Betrieb wirkungsvoller zum Konfliktthema gemacht werden. Dann könnte man vielleicht zulassen, dass von der Mindestruhezeit per Tarifvertrag unter ganz bestimmten Bedingungen mit sehr kurzen Ausgleichszeiträumen abgewichen werden darf.
Was wollen die Arbeitgeber?
Bislang schreibt das Arbeitsgesetz vor, dass nicht mehr als acht Stunden pro Tag an sechs Werktagen pro Woche gearbeitet werden darf. Weil sich das aber auf den Durchschnitt eines halben Jahres bezieht, sind an einzelnen Tagen auch bis zu zehn Stunden oder mehr erlaubt. Außerdem muss zwischen Feierabend und neuerlichem Arbeitsbeginn eine Ruhezeit von mindestens elf Stunden liegen. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) will, dass künftig nur noch die maximale Wochenarbeitszeit von 48 Stunden im Gesetz steht. Dadurch soll etwa möglich werden, dass Beschäftigte an einem Tag zwölf Stunden und an einem anderen nur vier Stunden arbeiten. Auch die Mindestruhezeit zwischen zwei Schichten soll gestrichen werden.
Was will das Bundes arbeitsministerium?
Zeitlich befristet und wissenschaftlich begleitet sollten Unternehmen Betriebsvereinbarungen über flexiblere Arbeitszeitregelungen abschließen dürfen. Voraussetzung: Arbeitgeber und Gewerkschaften haben den Rahmen zuvor in einem Tarifvertrag abgesteckt. Damit hätten nur tarifgebundene Unternehmen von dem Modell profitieren können. Auf eine Umsetzung dieses Vorschlags konnte sich die große Koalition vor der Bundestagswahl nicht mehr einigen.