Über Fluchtursachen
Interview mit Conrad Schuhler
DRUCK+PAPIER: Welche Ursachen hat die Zunahme der Flüchtlingszahlen?
Conrad Schuhler: Es sind vor allem drei: Krieg, Armut und Umweltzerstörung. All diese Faktoren entwickeln sich nicht naturwüchsig. Sie sind im Wesentlichen darauf zurückzuführen, dass Länder wie die USA und Deutschland die Herkunftsländer der Geflüchteten wirtschaftlich ausbeuten. Und dass Allianzen der imperialistischen Metropolen ihr globales Diktat mit Militäreinsätzen, also mit Krieg, durchsetzen. Mit den Flüchtlingen kommt das Problem zum Verursacher.
Inwiefern gehört Deutschland zu den Verursachern der Flüchtlingsströme?
Die Länder des Südens werden so in die globale Wirtschaft integriert, dass sie ihre Versorgungsunabhängigkeit verlieren, ihre Landwirtschaft auf Exporte ausgerichtet wird und sie selbst auf Lebensmittelimporte angewiesen sind.
Conrad Schuhler ist Leiter des Münchner Instituts für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung (isw). Bei den ver.di- DruckerTagen referiert er zum Thema Fluchtursachen.
Mit den EPAs (Economic Partnership Agreements) der EU mit afrikanischen Ländern werden diese zu einer radikalen Marktöffnung für EU-Importe gezwungen. Allein dadurch verliert Afrika jährlich rund 20 Milliarden US-Dollar an Exporteinnahmen. Die EU hat mit 16 Ländern in Afrika, der Karibik und im Pazifik Verträge über die Nutzung von Fischfanggebieten abgeschlossen. Die Groß-Trawler der Europäer zerstören die einheimische Fischereiwirtschaft und werden dabei mit knapp einer Milliarde Euro von der EU subventioniert.
Dieses globale Ausbeutungssystem wird immer stärker auch militärisch durchgesetzt. Im Nahen Osten und in Afrika herrschen verheerende Kriege, dort sind auch die Hauptherkunftsländer der Flüchtlinge. Deutschland ist fast immer bei den Kriegseinsätzen dabei. Derzeit gibt es 13 Auslandseinsätze der Bundeswehr.
Kämpft die Bundeswehr in diesen Ländern nicht für Stabilität und Demokratie?
In der westlichen Propaganda gibt es den Kampfbegriff »failed states«, fehlgeschlagene Staaten, wegen deren Impotenz man militärisch eingreifen müsse. Das ist eine Umkehrung von Ursache und Wirkung. Diese Staaten sind in erster Linie deshalb gescheitert, weil sie dem politischen und militärischen Druck der imperialistischen Mächte ausgesetzt waren. So lief es in Afghanistan, im Irak, in Libyen, so findet es derzeit in Syrien statt. In Ägypten hat sich mit Hilfe von Saudi-Arabien eine Militärdiktatur durchgesetzt und den gewählten Präsidenten Mursi zum Tode verurteilt – unter dem Beifall des Westens. Die Bundeswehr und die Nato haben nirgendwo der Demokratie geholfen, sondern den Cliquen, die ihnen Kooperation bei ihren Interessen zusichern.
Neben Conrad Schuhler wird Professor Christoph Butterwegge von der Uni Köln bei den ver.di-DruckerTagen sprechen. Sein Thema: »Armut in einem reichen Land«
Was muss sich ändern?
Wir brauchen eine andere Form der Verteilung von Macht und Reichtum. Der Sozialphilosoph Max Horkheimer hat zu Nazi-Deutschland gesagt: Wer nicht vom Kapitalismus reden will, der soll vom Faschismus schweigen. Heute ist zu sagen: Wer nicht vom globalen Kapitalismus reden will, der soll von den Flüchtlingen schweigen. Wir brauchen also grundsätzliche gesellschaftliche Veränderungen. Unmittelbar sollten wir Druck dafür machen, dass die profitorientierte Ausbeutung sowie Militäreinsätze und Waffenlieferungen durch die westlichen Länder gestoppt werden. Von Attac bis zum Weltsozialforum – es gibt viele Organisationen und Gruppen, die sich für eine gerechtere und soziale Welt einsetzen. Das ist der richtige Weg.