Unterwegs zu

Unterwegs zur Anderen Bibliothek

Am Schild auf dem Buchrücken – seit 25 Jahren in Rot – sind 
sie auf den ersten Blick erkennbar: die 457 Titel der Anderen 
Bibliothek – die langlebige, vermeintlich schönste Buchreihe 
der Welt.

Quasi als Haustürgeschäft soll die Unternehmung gestartet sein. Buchkünstler und Verleger Franz Greno, der zuvor in Nördlingen ausgemusterte Bleisatzeinrichtungen zum Schrottwert erworben hatte, wurde beim (kürzlich verstorbenen) 
Literaten Hans Magnus Enzensberger 
vorstellig – mit dem Vorschlag, künftig 
gemeinsam monatlich ein hervorragend gestaltetes Buch herauszubringen. Nach wenigen Wochen war man sich einig, auch über Namen und Logo.

Alles entstand aus einer Unzufriedenheit mit dem vorherrschenden (Taschen-) 
Buchmarkt. Um die Branche aufzumischen, hielt das Duo dagegen mit sorgfältig ausgewählten und lektorierten Büchern, nach den traditionellen Regeln der Schwarzen Kunst in Blei gesetzt, auf säure- und holzfreiem Papier gedruckt, mit Fadenheftung, Kapitalband, Lesebändchen und Titelschild versehen. Markenzeichen für »Die Andere Bibliothek«.

Indisches Ziegenleder

Die Edition mit dem Kometen startete im Januar 1985, wurde rasch zum Erfolg und heimste Preise ein. Greno konnte auf Messingmatritzen von 2.000 Schriften zurückgreifen. Für nummerierte Vorzugsausgaben war Büttenpapier mit eingeschöpften Lavendelblüten oder indisches Ziegenleder gerade gut genug. Man wählte farbnuancierte Überzugspapiere, nutzte Banderolen, Schlaufen, Schuber. Auch inhaltlich schier unbegrenzt, unterschied Herausgeber 
Enzensberger weder in literarische oder Sachbücher noch zwischen Klassikern 
und Neuerscheinungen: »Wir drucken nur 
Bücher, die wir selber lesen möchten.«

Wundertüte als Programm

Der pure Luxus ließ sich fünf Jahre durchhalten. Nach wirtschaftlichen Turbulenzen kam die Andere Bibliothek 1989 für mehr als zwölf Jahre beim Eichborn Verlag unter, gedruckt wurde zunächst weiter in Nördlingen. Erst mit Band 145 entschied Greno 1997, auf Computersatz umzustellen. Und als Enzensberger Ende 2004 überraschend ausstieg, übernahmen andere Herausgeber. Der aktuelle und dienstälteste heißt Christian Döring. Er half mit, dass die Eigner des Aufbau Verlages die besondere Buchreihe 2011 aus der Eichborn-Konkursmasse herauskauften. Inzwischen ist »Die Andere Bibliothek« ein sogenannter Imprint, ein Einzelverlag der Gruppe Aufbau Verlage am Berliner Moritzplatz.

Auch Döring bekennt sich zur »Programmlosigkeit«. Die Buchreihe solle »Wundertüte sein in jeder Hinsicht: buchhandwerklich möglichst einzigartig und immer aufs Neue originell.« Das mache sie nicht nur im deutschsprachigen Raum zur Marke. Auf die äußeren Markenzeichen passe die Herstellung auf. Mit einem seit zehn Jahren moderat wachsenden »kleinen, qualitätsvollen« Netzwerk oft namhafter Gestalter*innen würden die Bücher vom Inhalt her entworfen. Jeder Band erhalte ein Budget als Rahmen für buchgestalterische Fantasie: »Wird sie zu teuer, muss eingeschränkt werden.«

Extradrucke und E-Books

Besonders erfolgreiche Originalausgaben, das hat Döring eingeführt, werden als Extradrucke wiederaufgelegt, bisher etwa 
50 Bände. E-Books gibt es inzwischen auch. Und noch immer etwa 1.400 vorwiegend männliche Abonnenten (Sammeln sei wohl »maskuline Eigenart«) – mit leider abnehmender Tendenz, bedauert Döring. Er hört im Sommer 2023 als Herausgeber auf. Über die Nachfolge hat die Eigentümerfamilie schon entschieden. Da es an programma
tischen Äußerungen der neuen Herausgeber*innen – erstmals auch eine Frau – noch mangelt, rät der jetzige, einfach »abzuwarten, welche Bücher entstehen werden«.