Editorial

Bars machen am Wochenende dicht, Cafés öffnen später und schließen früher. Rund 216.000 Beschäftigte hat das Gastgewerbe in der Corona-Krise verloren. Viele arbeiten heute woanders – im Discounter, in Sekretariaten, beim Paketdienst. Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband klagt, dass es »trotz größter Anstrengungen« nicht gelungen sei, die Leute zu halten. Wieso das? Erst kürzlich sind kräftige tarifliche Lohnerhöhungen durchgesetzt worden.

Die Realität: Die meisten Beschäftigten im Gastgewerbe haben nichts davon, weil in vielen Betrieben keine Tarifverträge gelten. Was auch daran liegt, dass der Hotel- und Gaststättenverband den Unternehmen Mitgliedschaften ohne die Pflicht ermöglicht, sich an Tarifverträge zu halten – OT-Mitgliedschaften. Die Folge: Die Beschäftigten verdienen noch weniger als die rund 2.300 Euro, die eine Fachkraft beim Berufseinstieg als Tarifgehalt bekommen würde. »Sorry«, sagt der Chef zur Kellnerin, »mehr ist nicht drin, aber du kriegst ja Trinkgeld.«

870.000 Menschen in der Gastronomie sind Minijobber*innen und viele Arbeitsverträge sind befristet. Prekäre Beschäftigung gehört in dieser Branche zur Norm. Das sind die Fakten hinter dem beklagten Personalmangel. Nicht erst seit drastisch gestiegenen Preisen und der Corona-Pandemie.

In unseren Branchen ist es ähnlich – es gibt nur kein Trinkgeld. Auch hier: Azubis werden übernommen – aber befristet und mit neuer Probezeit eingestellt. Fachleuten wird gerade mal der gesetzliche Mindestlohn bezahlt. Und Mitgliedschaften in Unternehmerverbänden ohne Tarifbindung sind in der Druckindustrie gang und gäbe. Prekäre Arbeit ist einer der Hauptgründe für Personalmangel. Wer sich nur so über Wasser hält, wird seinen Laden früher oder später schließen müssen.