Strichätzung

Von Scheinriesen und Vampiren

Die korrupte FIFA hat die WM nach Katar vergeben, um »dort den Fußball weiterzuentwickeln.« Das meint: Tausende rechtlose Arbeiter schindeten sich zu Tode, damit diese WM im November/Dezember ausgetragen wird, also mitten in der Bundesliga-Saison. Nur ganz wenige Funktionäre, Trainer und Spieler (keine Stars!) schimpften auf die WM-Vergabe als Kommerzkacke. Franz Beckenbauer flog nach Katar, drehte im Heli eine Runde über die Stadionbaustellen und verkündete anschließend der Weltpresse: »Ich hab’ keine Sklaven gesehen.« Karl-Heinz Rummenigge versuchte, vom Scheich persönlich geschenkt bekommene Rolex-Uhren (Wofür? Dass Bayern München seit Jahren in Katar sein Winter-Trainingslager aufschlägt?) am Zoll vorbeizuschmuggeln. Seitdem ist er vorbestraft. Die Stimmung ist eindeutig: Boykott! Nicht hinfahren, nicht mitspielen – und wir Fans: Nicht einschalten! Stell dir vor, es ist Fußball und keiner guckt hin! Wie könnten wir nur ein WM-Tor bejubeln, wenn wir wissen, dass Tausende von Arbeitern beim Stadionbau krepiert sind?

Alles klar? Mitnichten. Die Fernsehsender – sonst immer Speerspitze der Moral – werden wieder eine furchtbar klingende Hymne von einem schlecht gealterten Popstar komponieren lassen, die 1.244 Mal am Tag gesendet wird. Bei Markus Lanz werden wir hören, dass der Sport nichts mit Politik zu tun hat und die Spieler doch nichts dafür können. Auf Weihnachtsmärkten werden Riesen-Public-Viewing-Wände aufgestellt und statt Bier wird Glühwein gesoffen. Leute: Fußballfans, die eine WM in Katar nicht boykottieren, brauchen sich nicht über Politiker echauffieren, die russisches Gas durch Bio-Fairtrade-Gas aus Katar ersetzen. Beide sind wie der Scheinriese Tur Tur, der immer kleiner wird, je näher er kommt. Oder wie Vampire, die so tun, als seien sie Vegetarier.