Von Fernarbeit, Achtsamkeits-Apps und dümmsten Entscheidungen
Der Süddeutsche Verlag hat beschlossen, seine zentrale Poststelle dichtzumachen und die Arbeit an die Deutsche Post zu vergeben. Dort sollen künftig Kuverts aufgeschlitzt, Briefe eingescannt und gemailt werden. Begründung des Unternehmens: Wer im Homeoffice arbeitet, müsse seine Post per Mail erhalten.
Betriebsratsvorsitzender Jens Ehrlinger nennt die Schließung der Hauspost »eine der dümmsten Entscheidungen«. Weil fünf Beschäftigte zwischen 51 und 61 Jahren ihren Arbeitsplatz verlieren. Weil zwar die Personalkosten sinken, die Sachkosten aber steigen. Weil Betriebsrat und Redaktion ihre Post garantiert nicht in die Hände von Externen geben werden und deshalb doch jemand die Briefe in die Fächer sortieren muss.
Offenbar geht es darum, wieder fünf Köpfe von der Personalliste zu streichen. Egal, was es kostet. Im Frühjahr hatte SWMH-Chef Christian Wegner per Video verkündet, dass in diesem und im nächsten Jahr 50 Millionen Euro eingespart werden müssten. Betriebswirt und Ex-McKinsey-Berater Wegner wechselte von Pro Sieben Sat 1 zur Südwestdeutschen Medienholding. Für den Privatsender hat er die Online-Vermittlung Parship und Elite Partner an Land gezogen. Kenntnisse der Zeitungsbranche habe er keine, werfen ihm Kritiker*innen vor. Sein größter Coup bei der SWMH: der Kauf der Online-Plattform »7mind« – für Achtsamkeit, Meditation und besseren Schlaf.
»Zynismus für Fortgeschrittene«
In der Redaktion soll jede zehnte Stelle wegfallen. Ein ausscheidender Redakteur schrieb laut einem Betriebsratsinfo dazu: »Jede zehnte Stelle einzusparen, stattdessen in ein Achtsamkeits-Start-up zu investieren und dann den verbliebenen Mitarbeiter*innen die Achtsamkeits-App zu empfehlen, als Mittel gegen wachsenden Stress, das ist schon Zynismus für Fortgeschrittene.«
Die Südwestdeutsche Medienholding – ein Konglomerat aus Tageszeitungen, Fachmedien, Anzeigenblättern, Fernseh- und Radiosendern – ist die größte deutsche Verlagsgruppe mit einem Umsatzerlös von knapp 923 Millionen Euro im Jahr 2019. Der Konzern baut um, baut ab, lagert aus, automatisiert, zentralisiert. Etwa so: Interne Dienstleistungen wie Personalverwaltung, IT-Service oder Controlling werden für den gesamten Konzern in einer GmbH zusammengeführt. Nun beginnt, was Synergieeffekt heißt, aber nichts anderes bedeutet als: Was doppelt ist, fällt weg. Abläufe rationalisieren, Kosten senken, Stellen streichen, Tarifbindung loswerden.
Gleichzeitig wird standardisiert und vereinheitlicht, etwa Anzeigen- und Vertriebssysteme – quer durch die Zeitungslandschaft des Konzerns. Spart Arbeit und kostet letztlich Arbeitsplätze.
Eine Einkaufsmanagementsoftware verwaltet Lieferanten und Adressen und vergleicht automatisch Preise und Rabatte. Das spart Arbeit. Der nächste Schritt könnte sein, dass Bestellvorgänge automatisch generiert werden. Oder: Eine neue Mahnsoftware soll automatisch die Mahnungen für säumige Kund*innen erstellen. Das verändert die Arbeit. Und kann Arbeitsplätze kosten, was die Betriebsräte zu verhindern suchen.
Computer und Internet machen es möglich, immer mehr Arbeitsschritte auf Kund*innen und Beschäftigte zu verlagern. »Reisebuchungen und -abrechnungen oder die Freigabe von Zahlungen im ›Digitalen Rechnungseingang‹ erledigen wir nun selbst. Das dauert länger und verursacht mehr Fehler als die Bearbeitung durch routinierte Kräfte in Buchhaltung und Sekretariaten«, schimpft Konzernbetriebsratsvorsitzender Harald Pürzel.
Schreibtisch gesucht
Am meisten Sorgen macht ihm aber zurzeit der Trend zum Homeoffice. »Viele haben keinen Drang, ins Büro zurückzukehren«, hat er festgestellt. Das Unternehmen könnte versucht sein, Büro für Büro, Stockwerk für Stockwerk an den Vermieter zurückzugeben, um Geld zu sparen. Die Folge: Desk-Sharing. Statt im angestammten Büro zu arbeiten, würde man sich stets aufs Neue einen freien Schreibtisch buchen.
Für manch einen ist demnächst vielleicht gar kein Schreibtisch mehr im Turm vorgesehen. Manch eine Stelle wird bei der SWMH wie in anderen Unternehmen auch als Remote Work ausgeschrieben – Fernarbeit, Internetanschluss genügt. Mit den Gehältern des Verlags und bei den Mieten in München bekäme man doch keine Spezialist*innen mehr für die Zentrale, verteidigte sich das Unternehmen.
Arbeit à la Uber
Corona hat in einer ungeahnten Rasanz die Arbeitsorganisation umgestülpt und vom Büro ins Homeoffice befördert. »Wenn ich nicht mehr nach München ins Büro muss, kann dann meine Arbeit nicht auch von jemand anderem in Budapest oder Bratislawa erledigt werden – über Arbeitsvermittlungsplattformen von Crowdworkern oder Freelancern?« Diese Frage, sagt Betriebsratsvorsitzender Ehrlinger, stellten sich mittlerweile viele Beschäftigte.
Und was kommt als Nächstes? Die SWMH will für den ganzen Konzern eine cloudbasierte Personalverwaltungssoftware anschaffen, inklusive elektronischer Personalakte.
Automatisieren und standardisieren
In vielen Verlagen ist die sogenannte digitale Transformation im Gange. Was es damit auf sich hat, erklärt Tobias Kämpf vom Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung (ISF) München.
Dr. Tobias Kämpf, Wissenschaftler am Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung (ISF) München und Privatdozent an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Foto: privat
DRUCK+PAPIER: Was zuvor dezentral in verschiedenen Standorten organisiert war, etwa die Finanzbuchhaltung oder das Controlling, wird zentralisiert. Was ist der Sinn?
Tobias Kämpf: Zuvor brachte die Dezentralisierung Vorteile. Nun werden Geschäftsbereiche zusammengelegt, Prozesse standardisiert und mit einem einheitlichen IT-System hinterlegt. Mit dem Ziel, die Effizienz zu steigern. Diese sogenannten Shared Service Center kennen wir aus der Industrie seit den 1990er-Jahren. Die zentralisierte Organisation war die Voraussetzung für das Near- oder Offshoring, das Verlagern von Tätigkeiten in Länder mit niedrigeren Personalkosten, also Kostensenkung. Das geht nicht ohne Digitalisierung.
Was ist weiterhin in Büros und Verwaltungen zu erwarten?
Nachdem Unternehmen in der Fertigung viel Rationalisierungspotenzial herausgeholt haben, richtet sich ihr Blick jetzt auf die Angestellten. In den nächsten Jahren wird zunehmend Robot Process Automation eingesetzt werden, die automatisierte Bearbeitung von standardisierten Geschäftsprozessen durch digitale Software-Roboter.
Damit können einfache Vorgänge, vor allem in der Verwaltung, automatisch ausgelöst werden, etwa Buchungen, Beschaffung im Einkauf, Datenvergleiche im Controlling.
Das klingt nach der Vernichtung von Arbeitsplätzen.
Die Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren, ist berechtigt. Robot Process Automation ist ein Rationalisierungsinstrument. Man kann es aber auch anders betrachten: Wenn eine Rechnung von einem Beschäftigten erst ausgedruckt, vom nächsten eingescannt, vom dritten wieder ausgedruckt wird, wird das als sinnlos empfunden. Solche Software-Roboter können den Menschen also auch von sich wiederholenden, lästigen Tätigkeiten befreien. Damit bestünde die Chance, die Arbeit durch interessantere und abwechslungsreichere Tätigkeiten aufzuwerten.
Haben Unternehmen nicht eher das Ziel, Kosten zu senken statt Jobs spannender zu machen?
Es wird Aufgabe der Betriebsräte sein, einen Rationalisierungsschutz auszuhandeln. In Betriebsvereinbarungen muss sichergestellt werden, dass niemand seine Arbeit verliert, sondern die Menschen für neue Aufgaben qualifiziert werden. Das funktioniert auch. Ich kenne Betriebe, in denen ehemalige Sachbearbeiter*innen Prozessautomatisierungstools programmieren und Bürokaufleute Programmierplattformen bedienen. Wichtig ist aber, die Beschäftigten von Anfang an zu beteiligen und ihnen die Sicherheit zu geben, dass sie nicht um ihren Arbeitsplatz fürchten müssen. Damit die digitale Transformation keine neue Rationalisierungswelle mit sich bringt, sondern einen Aufbruch in eine neue Humanisierung der Arbeit.