Corona-Krise

»Streiks sind immer möglich!«

Gewerkschaftsforscher Heiner Dribbusch: Pandemie für neue tarifpolitische Forderungen nutzen

DRUCK+PAPIER: Wie können Kolleg*innen zurzeit für Tarifforderungen aktiviert werden?

Heiner Dribbusch: Das Wichtigste sind überzeugende Forderungen, die von den Beschäftigten getragen werden. Streiks sind immer möglich – auch unter Pandemiebedingungen. Entscheidend ist, ob in den Betrieben der Wille und die Fähigkeit vorhanden sind, um wirkungsvoll die Arbeit niederlegen zu können. Bei kürzeren Streiks können Beschäftigte beispielsweise vorübergehend ihre Arbeit einstellen und am Arbeitsplatz verbleiben. In einigen Branchen haben die Gewerkschaften erfolgreich zum Frühschluss aufgerufen: Die Beschäftigten sind einfach früher nach Hause gegangen. Nur die klassische große Streikkundgebung ist schwieriger, weil dafür mit 1,5 Meter Abstand viel Platz gebraucht wird.

Aber gemeinsame Kundgebungen und Demonstrationen sind eine Möglichkeit, Solidarität praktisch zu erfahren.

Stimmt. Sich bei Kundgebungen vor dem Tor als starke Gruppe gemeinsam zu erleben, ist wichtig. Gerade bei kleineren und mittleren Betrieben bedeutet, sich in Sichtweite des Managements aufzustellen: »Wir halten zusammen!« Beim Streik am Arbeitsplatz fehlt insofern ein Stück Gemeinschaftserlebnis. Bei Angestellten im Homeoffice fällt das gemeinsame Erleben allerdings ohnehin weg. Deshalb bleiben Streikversammlungen im Freien auch unter Corona-Regeln wichtig.

Heiner Dribbusch, Schreiner, Historiker und Politikwissenschaftler. Bis zu seinem Ruhestand Ende 2019 arbeitete er als Wissenschaftler am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung. Seine Schwerpunkte waren gewerkschaftliche Organisierung und Arbeitskämpfe. 

Die Pandemie beeinflusst auch die Arbeit von Tarifkommissionen. Statt in direkten Treffen entscheiden sie oft in Onlinekonferenzen.

Onlinekonferenzen können persönliche Treffen nicht ersetzen. Es wird weniger spontan geredet, Teilnehmer*innen sind oft zurückhaltender. Diskussionen fallen knapper aus. Die Stimmung ist anders. Persönliche Treffen ermöglichen nebenher ungezwungene Diskussionen, direkten Austausch und neue Kontakte. Für das interne Gewerkschaftsleben ist das wichtig. Da geht online sicherlich etwas verloren. Aber die Pandemie wird nicht ewig dauern.

Kann die Pandemie Anstoß sein, neue Inhalte für Tarifverträge zu entwickeln?

Ich denke schon. Es wäre jetzt eine gute Gelegenheit für die Gewerkschaften, die Mitglieder nach ihren Pandemieerfahrungen zu befragen. Denkbar sind tarifpolitische Regelungen zum mobilen Arbeiten, für Homeoffice sowie für einen besseren Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz.