Aus den Betrieben

Wer steigt schon ohne Sicherung auf den Berg

Augsburger Druck- und Verlagshaus verlangt Einkommensverzicht | Belegschaft verweigert Unterschrift unter die Einzelarbeitsverträge | Bereit zum Streik

Fast die Hälfte der Belegschaft hat sich an dem arbeitsfreien Samstag Mitte Juli zur ver.di-Mitgliederversammlung in einem Augsburger Biergarten getroffen. »Die Kollegen sind sauer, was ihnen das Druck- und Verlagshaus zumutet«, sagt Gewerkschaftssekretär Matthias Erdmenger.

Einer nach dem anderen wurde in den vergangenen Wochen von seinem Arbeitsplatz weg ins Büro geholt. Mit jedem einzelnen Beschäftigten redete der Geschäftsführer und warb um dessen Unterschrift unter einen neuen Einzelarbeitsvertrag. Darin steht, dass bis Ende 2022 kein tarifliches Urlaubsgeld, keine Jahresleistung und keine Lohnerhöhung bezahlt würden. Das Augsburger Druck- und Verlagshaus wolle »neue Wege« gehen.

Nachwirkung für ver.di-Mitglieder

Per Aushang erfuhren die mehr als 100 Beschäftigten, dass sie die seit Juni fällige Lohnerhöhung und das Urlaubsgeld einen Monat später erhielten. Die Geschäftsführung verhandle darüber mit dem Betriebsrat. »Stimmt nicht«, sagt Betriebsratsmitglied Christian Elmer. Tarifangelegenheiten seien außerdem Sache von ver.di.

»Warum sollte ich den neuen Arbeitsvertrag unterschreiben?«, fragt Elmer. Damit verlöre er die Nachwirkung des Tarifvertrags und alle tariflichen Leistungen. Er unterschreibt nicht, die ver.di-Kolleg*innen auch nicht. Sie profitieren von der Nachwirkung des Manteltarifvertrags und Lohnabkommens für die Druckindustrie, auch nachdem das Druck- und Verlagshaus den Firmentarifvertrag zum 31. Dezember 2019 gekündigt hatte.

Verzicht ist kein Konzept

Ob der Betriebsrat nicht auf die Belegschaft einwirken könne, die neuen Arbeitsverträge zu unterschreiben, bittet ihn der Geschäftsführer. Elmer schüttelt den Kopf: »Ich kann doch die Leute nicht von etwas überzeugen, das ich selbst nicht gut finde.« Die Belegschaft sei es leid, dass die Firma über Jahre Verzicht verlange, aber selbst nicht zu Investitionen und Gegenleistungen bereit sei. Einkommensverzicht sei kein Zukunftskonzept, sagt Elmer. Inzwischen würden dem Betriebsrat auch keine Gewinn-und-Verlust-Rechnungen mehr vorgelegt. Man könne nicht einmal überprüfen, ob das Unternehmen tatsächlich in wirtschaftlichen Schwierigkeiten stecke. Die Geschäftsleitung solle sich an ver.di wenden. »Wenn ich zum Bergsteigen gehe, nehme ich ein Sicherungsseil mit. So ein Seil ist für uns ver.di.«

Die ver.di-Mitglieder werden jetzt vom Unternehmen verlangen, die Lohnerhöhung und das Urlaubsgeld zu zahlen. Andernfalls gehen sie vors Gericht. Und weil die Geschäftsführung auf keine Aufforderung von ver.di reagiert hat, über einen Tarifvertrag zu verhandeln, wollen sie Druck machen. »Die Kollegen sind bereit zu streiken«, sagt Erdmenger.

ADV Schoder

Die Rollen- und Bogenoffsetdruckerei ADV Schoder hat Standorte in Gersthofen und in Augsburg. Zusammen arbeiten dort 220 Beschäftigte. Die Belegschaft im Augsburger Druck- und Verlagshaus hat in den vergangenen Jahren immer wieder auf Teile des Urlaubsgelds und der Jahresleistung verzichtet. Im Gegenzug hat ADV einer Beschäftigungssicherung zugestimmt und den Manteltarifvertrag der Druckindustrie anerkannt. Dazu wären die Beschäftigten und ver.di auch heute noch bereit. Von diesem Konstrukt will der neue Geschäftsführer aber nichts mehr wissen.

Auch die Kolleg*innen von Schoder Druck, die keine einzelvertragliche Regelung unterschrieben hatten, mussten 2017 die Auszahlung ihrer Jahresleistung geltend machen. Der Unternehmer hatte sich 2003 aus der Tarifbindung gestohlen und war beim Unternehmerverband in eine sogenannte OT-Mitgliedschaft (ohne Tarifbindung) gewechselt.