Unterwegs mit den Zeitungszusteller*innen
Die Bontens sind jede Nacht vier Stunden auf Tour – zuverlässig wie ein 2-Personen-Uhrwerk. Danach machen sie Betriebsratsarbeit – auch gemeinsam.
Aachen, Stadtteil Haaren. Curd Bonten, 59, und seine Frau Monika Hark-Bonten, 55, sind seit 2 Uhr unterwegs. Bis um 6 Uhr müssen etwa 500 Zeitungen verteilt sein. Nach bald 20 Jahren »kennen wir die Wege im Schlaf«, sagt Monika Hark-Bonten. Ihr Mann, sonst drei Tage die Woche Vertriebsmitarbeiter bei einem Lesezirkel, ist meist im Auto unterwegs, sie zu Fuß. Er macht die größeren Schleifen und die enge Stichstraße hinauf.
Nach einer halben Stunde treffen sie sich wieder, fast sekundengenau getaktet. Sie fährt ein Stück mit und übernimmt wieder einen Stapel vom Rücksitz: »zehn blaue und zwölf gelbe«. Die Farben stehen für Aachener Zeitung und Aachener Nachrichten. So geht das alle 20 bis 30 Minuten. Hier ist ein 2-Personen-Uhrwerk unterwegs.
Nach Zeit bezahlt
Beide sind aktiv bei ver.di und Betriebsräte. »Und zwar sehr engagiert«, sagt Monika Hark-Bonten. »Wenn ich was mache, dann richtig.« Weil ein Tarifvertrag für Zusteller*innen fehlt, versucht das Betriebsratsgremium, die Arbeitsbedingungen per Betriebsvereinbarung zu verbessern. Oft mit Erfolg.
Erst kürzlich hat der Betriebsrat eine neue Betriebsvereinbarung unterschrieben. Erstmals werden die Zusteller*innen nicht mehr pro Zeitung bezahlt, sondern nach Zeit. Die Soll-Zeit wird nach einem komplizierten System berechnet: nach der Dauer fürs Sortieren, Gehen und Stecken plus der mittels einer Software für Gebietsplanung ermittelten Wegstrecke. »Das Unternehmen ist aber verpflichtet, die Arbeitszeit zu vergüten, die ein Zusteller tatsächlich braucht«, erklärt Curd Bonten.
Jetzt auch noch Briefe
Zum Stundenlohn von 9,50 Euro gibt es 30 Cent pro Autokilometer. Und 20 Prozent Nachtzuschlag für alle, die mindestens zwei Stunden nachts arbeiten. Ein Kompromiss. Denn nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts müsste die Firma 30 Prozent zahlen. Doch dann wären die Zusteller*innen, die nachts unter zwei Stunden bleiben, leer ausgegangen.
Weiter geht’s. Curd Bonten zieht die Handbremse schon an, wenn der Wagen noch ausrollt, Tür auf, die richtige Zeitung von der Ablage schnappen, ab zum Briefkasten, wieder rein in den Wagen. Es dämmert, im Autoradio dudelt leise die ARD-Hitnacht.
Zustellung bleibt Dumpinglohnsektor, Zulagenkürzungen, Revierausweitungen, oft undurchsichtige Lohnabrechnungen. Häufig gibt es nicht einmal Betriebsräte und damit auch keine Betriebsvereinbarungen. Nicht viele Zusteller*innen sind in der Gewerkschaft organisiert. Einige sind Studierende, andere Rentner*innen. Der Älteste in Aachen ist über 80. »Viele von den Alten machen den Job, um ihre Rente aufzubessern, und weil sie sich schämen, tags zu arbeiten«, sagt Monika Hark-Bonten.
Vor 20 Jahren war noch fast die Hälfte mehr an Zeitungen auszutragen. »Verlage sind Mischkonzerne geworden«, sagt ihr Mann. Sie machen in Events und Lesereisen oder liefern Post der verlagseigenen Firma aus. In Bontens betagtem Auto liegen ein paar Stapel Briefe – Kund*innen sind der ADAC, Gemeindeverwaltungen, Ärztehäuser. Hybridzustellung heißt das, wenn Zeitungen und Post ausgetragen werden.
Im Notfall kann sich das Ehepaar gegenseitig erreichen. Gefahren? »Überfälle und Belästigung haben überall zugenommen«, sagt Curd Bonten. Und dann die Klassiker: Ausrutschen, Knieverletzungen, Blitzeis. »In einer steilen Straße bin ich mal von Hausnummer 60 bis 30 auf dem Hintern runtergerutscht. Da ging nichts mehr mit Zustellung«, ergänzt seine Frau.
Heute ist alles pünktlich fertig. Schnell noch ein großer Mittagskaffee kurz nach 6. Und dann steht eine Menge Betriebsratsarbeit an.