Ausbildung

Warum Azubis oft das Weite suchen

Unternehmerverbände geben jungen Leuten die Schuld | Berufsschullehrer*innen sehen auch Verantwortung bei schlechter Ausbildung in Betrieben

Das war’s: Fast jeder dritte Ausbildungsvertrag in der Druckverarbeitung wird aufgelöst, bevor das Ende der Ausbildung erreicht ist. Fast jeder vierte bei den Packmitteltechnolog*innen und fast ebenso viele bei den Drucker*innen. Was ist los? DRUCK+PAPIER hat die Fachleute gefragt – im Zentral-Fachausschuss Berufsbildung Druck und Medien (ZFA) und ein halbes Dutzend Berufsschullehrer*innen. Wie kann es anders gehen? Wir haben Ausbildungsbetriebe gefunden, die sich ins Zeug legen, um Auszubildende zu finden und sie zu halten.

Berufsschule in Neumünster. Am ersten Schultag des neuen Ausbildungsjahres steht Siegbert Schwab vor einer Klasse von etwa 30 angehenden Drucker*innen. Am Ende des ersten Ausbildungsjahres sind es nur noch 22 oder 23. »Wir haben in jedem ersten Ausbildungsjahr Verluste.«

Woran das liegt? Einfach gesagt: »Die Branche hat sich verändert.« Der Beruf des Druckers habe an Attraktivität verloren. Schwarze Kunst? Jünger Gutenbergs? Der Glanz von früher ist verschwunden. Die Druckindustrie gilt als kriselnde Branche. Azubis erlebten zudem ein Missverhältnis zwischen anspruchsvollen Ausbildungsinhalten und der Praxis als Maschinenbediener mit Schichtarbeit. »Da fragen sich manche, ob sie das die nächsten 40 Jahre tun möchten.« Leistungsstarke Azubis wechselten an die Universität, sagt Schwab, denn ein Studium verspreche ein höheres Prestige als eine Ausbildung und der Hochschulabschluss mehr Sicherheit für den Arbeitsplatz.

In der Probezeit entlassen

Die Berufsschullehrer, mit denen DRUCK+PAPIER gesprochen hat, sind überzeugt, dass sich die Veränderung im Bildungssystem bis zur Druckmaschine niederschlägt. Mehr Eltern schicken ihre Kinder aufs Gymnasium. Mehr Schüler*innen eines Jahrgangs machen Abitur. Mehr Abiturient*innen studieren. Und mehr Schüler*innen mit mittelmäßigen oder schlechten Schulabschlüssen steuern Berufe in der Druckindustrie und Papierverarbeitung an als vor zehn Jahren. »Würde ich heute die gleiche Klassenarbeit in Mathe schreiben wie vor 25 Jahren, fiele der Notenschnitt um eine Note schlechter aus«, sagt Mathias Kunert von der Johannes-Gutenberg-Schule in Stuttgart.

Von rund 360 neuen Azubis bei den Packmitteltechnolog*innen geben rund 90 auf oder werden entlassen. Vor zwölf Jahren waren es weniger als die Hälfte. »Zu unserem Bedauern verlieren wir vereinzelt Azubis. Oft in der Probezeit«, sagt Erik Wölm. Er ist beim Hauptverband Papier- und Kunststoffverarbeitung für Berufsbildung zuständig. Wenn den Azubis gekündigt werden müsse, dann oft aus Gründen wie häufige Unpünktlichkeit, Unzuverlässigkeit, mangelnder Ausbildungsfähigkeit oder mangelndem Interesse am Beruf. Das waren die Antworten von etwa 100 Betrieben auf eine Umfrage des Verbandes. Weil sie häufig nur wenige gute Bewerber fänden, könnten die Unternehmen insgesamt weniger ausbilden. Dem stimmt Frank Fischer zu. »Die meisten Druckereien nennen als Grund dafür, dass sie nicht ausbilden oder nicht alle Ausbildungsplätze besetzen können, ausbleibende oder ungeeignete Bewerbungen.« Fischer ist beim Bundesverband Druck und Medien verantwortlich für die Aus- und Weiterbildung.

Schlecht bezahlt, schlecht ausgebildet

Wenn Betriebe ihre Azubis verlören, hänge das auch mit Arbeitsbedingungen zusammen, sagt Kunert. Es gebe kleine Werbeagenturen, die schlecht zahlten, viele Überstunden und regelmäßige Wochenendarbeit verlangten und keinen Ausbildungsrahmenplan einhielten. Die müssten sich nicht wundern, wenn ihnen angehende Mediengestalter*innen wegliefen.

»Azubis sind für manche Druckereien der letzte Versuch, beim Preiskampf mitzuhalten«, sagt ein Lehrer. »Es gibt Betriebe, die in Kauf nehmen, dass ihre Azubis nicht lernen, was sie lernen sollten«, ergänzt Siegbert Schwab. Ein Kollege geht noch weiter: »Wir wissen, welche Druckereien Azubis nur einstellen, weil ihnen Hilfskräfte zu teuer sind.« Das seien Kampfbetriebe, die Maschinenbefüller suchten. Dass dann Azubis das Weite suchten, wundere ihn nicht.

Ronald Spicks, Berufsschullehrer aus Dortmund, macht auch die vielen Insolvenzen der vergangenen zehn Jahre dafür verantwortlich, dass die Zahl der Azubis schrumpfe. Und wenn eine Druckerei schließt, gelänge es nicht immer, den Azubi in einen anderen Betrieb zu vermitteln.
Nicht in allen Berufsschulklassen gehen Azubis im ersten Jahr verloren. »Wir ermutigen die Azubis durchzuhalten«, sagt Werner Nehren, Fachlehrer für arbeitstechnische Fächer, Druck- und Medientechnik in der Gutenbergschule in Frankfurt. »Eigentlich muss man angesichts der Ausbildungsqualität in manch einem Betrieb den Hut vor ihnen ziehen, dass sie das durchhalten.«

Es gibt Betriebe – große und kleine –, die sich engagiert um Azubis kümmern. Denen gehen junge Leute während der Ausbildung auch seltener verloren. »Betriebe mit gutem Ruf, die bekannt sind für eine gute Ausbildung und die sich aktiv nach Bewerbern und Bewerberinnen umschauen, schaffen es in der Regel auch, ihre Ausbildungsplätze zu besetzen«, sagt Anette Jacob, Geschäftsführerin vom ZFA.

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Jeder vierte Ausbildungsvertrag wird vorzeitig beendet

Das Bundesinstitut für Berufsbildung zählt die Ausbildungsverträge, die vor Ende der Ausbildung gelöst wurden. Das muss nicht das Ende der Ausbildung bedeuten. Etwa die Hälfte der Azubis schließt wieder einen Ausbildungsvertrag in einem anderen Betrieb ab. 2017 (neuere Zahlen liegen nicht vor) wurde im Durchschnitt in allen Ausbildungsberufen jeder vierte Vertrag aufgelöst. Sogar jeder zweite bei Restaurantfachleuten, Bodenleger*innen und Gerüstbauer*innen. »Das liegt häufig an den schwierigen Ausbildungsbedingungen wie Wochenend- und Schichtarbeit und der schlechten Bezahlung in einigen Betrieben dieser Branchen«, erklärt Heike Krämer, beim Bundesinstitut für Berufsbildung Expertin für Berufe der Druck- und Medienwirtschaft.

Ein guter Ausbildungsbetrieb

DRUCK+PAPIER hat zusammengestellt, was ein guter Ausbildungsbetrieb mitbringen sollte. Das steht unter verdi-drupa.de/?p=9272