Mit Sicherheit im Recht

Dem Chef Kontra geben

Teil 1: Von Abmahnung bis Überstunden – die Rechte von Beschäftigten. Im Arbeitsrecht kursieren eine Menge Irrtümer. DRUCK+PAPIER hat häufige Fragen gesammelt. Bei den Antworten hat uns Rechtsanwältin Regina Steiner aus Frankfurt am Main beraten.

Ich werde zum Chef zitiert und fürchte, das Gespräch wird unangenehm. Kann ich den Betriebsrat mitnehmen?

Fast immer. Das ist gesetzlich geregelt. Betriebsräte dürfen mitgenommen werden, wenn es um die Änderung von Arbeitsabläufen geht, die eine Umschulung oder Weiterbildung erforderlich machen, um die Berechnung und Zusammensetzung des Arbeitsentgelts oder um die Leistungsbeurteilung und berufliche Entwicklungsmöglichkeiten. Das gilt ebenfalls bei der Einsichtnahme in die Personalakten oder Gespräche zum betrieblichen Eingliederungsmanagement nach mehr als sechswöchiger Krankheit. Betriebsratsmitglieder dürfen auch hinzugezogen werden, wenn Beschwerden behandelt werden. In wenigen Spezialfällen – etwa wenn es um die bloßen Modalitäten eines Aufhebungsvertrages geht – besteht kein Anspruch, ein Betriebsratsmitglied hinzuzuziehen. Vorab nachzufragen, was genau Inhalt des Gesprächs sein soll, ist also sinnvoll – auch für die eigene Vorbereitung.

Der Chef ordnet Überstunden an. Ich habe mich verweigert; nun erhalte ich eine Abmahnung. Ist das erlaubt?

Nur unter bestimmten Umständen. Auch das Weisungsrecht ermächtigt den Unternehmer in der Regel nicht, einfach Überstunden zu verlangen. Der Umfang der zu leistenden Arbeit ist im Arbeitsvertrag festgelegt. Ist dort keine Überstundenklausel enthalten, müssen auch keine geleistet werden. Allerdings sieht das Bundesarbeitsgericht mitunter auch ohne solche Klausel eine Pflicht zu Überstunden – etwa wenn sonst ein eiliger Kundenauftrag verloren gehen könnte. Der Betriebsrat muss aber in jedem Fall vorab zugestimmt haben. Überstunden zu verlangen, kann auch durch Betriebsvereinbarungen zulässig sein. Selbst wenn der Tarifvertrag Überstunden erlaubt, ist immer der Betriebsrat mit im Boot. Erst wenn der grünes Licht gibt, muss gearbeitet werden. Und selbst dann können Überstunden vom Einzelnen noch abgelehnt werden – aus gesundheitlichen Gründen, am besten mit Vorlage eines ärztlichen Attests, oder aus privaten Gründen. Der Unternehmer hat solche Interessen der Beschäftigten zu berücksichtigen. Eine Abmahnung ist also nicht grundsätzlich ausgeschlossen, braucht aber eindeutige Voraussetzungen.

Mein Arbeitsraum ist eigentlich eine Abstellkammer – ohne Tageslicht, winzig klein. Kann ich mich weigern, hier zu arbeiten?

Ja. Im Interesse von Gesundheitsschutz und Sicherheit gibt es Mindestvorschriften für Arbeitsräume. Die betreffen Abmessungen, Temperatur, Fluchtwege, Beleuchtung, Belüftung und anderes. Damit genügend Arbeitsplatz und Bewegungsfläche vorhanden sind, gelten nach der Arbeitsstättenverordnung für ein Einzelbüro etwa eine Größe von 8 bis 10 Quadratmetern und eine Raumhöhe von 2,50 Meter als Richtwert. Wird der unterschritten oder ist der Arbeitsschutz in anderer Beziehung nicht gewährleistet, ist das zu beanstanden. Staatliche Behörden haben die Vorgaben zu kontrollieren, man kann sich an sie wenden. Auch die Berufsgenossenschaft muss Beschwerden nachgehen. Beschäftigte sollten zunächst mit ihrem Betriebsrat oder dem Sicherheitsbeauftragten des Unternehmens sprechen. Betriebsräte haben in solchen Fragen Mitspracherecht.

Muss ich im Betrieb sagen, dass ich Gewerkschaftsmitglied bin?

Nein. Es kann aber sogar sinnvoll sein. Zunächst: Gewerkschaftsmitglied zu sein, hat eine lange Tradition und ist ein gutes Recht. Die Koalitionsfreiheit ist sogar im Grundgesetz gesichert. Man darf darauf stolz sein, zu einer solidarischen Gemeinschaft zu gehören. Unternehmer sehen das womöglich anders. Deshalb ist niemand verpflichtet, seine Gewerkschaftszugehörigkeit mitzuteilen. Sie geht den Chef schlichtweg nichts an. Auf entsprechende Nachfrage darf sogar gelogen werden. Nachteile dürfen aus einer Gewerkschaftsmitgliedschaft nicht entstehen. Aber: Gibt es im Betrieb Tarifverträge, kann es sogar sinnvoll sein, wenn der Unternehmer Bescheid weiß. Zumindest dann, wenn Tarifregelungen oder besondere Vorteilsklauseln nur für Gewerkschaftsmitglieder gelten.

Ich will, dass eine jahrealte Abmahnung endlich aus der Personalakte rauskommt. Was kann ich tun?

Ein Gespräch darüber führen und argumentieren. Bringt das nichts, den Betriebsrat bitten, sich einzuschalten. Ein regelrechter Anspruch auf Entfernung einer Abmahnung besteht nur dann, wenn die Abmahnung unrichtig war. Nach zwei bis drei Jahren verliert die Abmahnung – sofern nicht neuerlich etwas vorgefallen ist – ihre Wirkung: Sie kann dann nicht mehr für eine Kündigung herhalten. Durch Rechtsprechung ist auch geklärt, dass eine Abmahnung spätestens dann aus der Personalakte entfernt werden muss, wenn das Arbeitsverhältnis beendet wird. Will man das vorher durchsetzen, müsste man notfalls streiten. Dagegen, dass eine Abmahnung sozusagen auf Vorrat aufbewahrt werden soll, lassen sich gute Argumente vorbringen, schon wegen des Datenschutzes. Der Unternehmer müsste ein rechtliches Interesse nachweisen, das schwerer wiegt als das Persönlichkeitsrecht des Beschäftigten. Doch würde eine Klage die Atmosphäre immer belasten. Zunächst sollte man das Anliegen deshalb persönlich und sachlich vorbringen.

In einer hitzigen Debatte habe ich dem Chef ein Schimpfwort an den Kopf geworfen. Muss ich mit einer Kündigung rechnen?

Im schlimmsten Fall. Respektvolles und höfliches Verhalten gegenüber Kolleg*innen oder Vorgesetzten gehört zu den grundsätzlichen arbeitsvertraglichen Verpflichtungen. Jemanden zu beschimpfen, ist dagegen ein Fehlverhalten, womöglich gar eine Beleidigung im strafrechtlichen Sinne. Wie schwer das wiegt, hängt von den Umständen ab. Wurde der Chef nur respektlos angegangen oder diskriminiert und schwer in seiner Ehre verletzt? Gab ein Wort das andere oder fiel das Schimpfwort hinterrücks und unvermittelt? Unter vier Augen oder vor versammelter Mannschaft? Erstmals oder schon wiederholt? Welcher Ton ist in der Branche generell üblich? Das alles sind Fragen der Abwägung. Doch muss der Chef Respektlosigkeit oder gar eine Beleidigung nicht einfach hinnehmen. Er könnte deshalb verwarnen oder eine Abmahnung aussprechen. Verhaltensbedingte Kündigung wäre das letzte Mittel. Gerichte halten sie für gerechtfertigt, wenn bestimmte Grenzen überschritten wurden und das Vertrauensverhältnis gestört ist. Etwa wenn Beschimpfungen einen diskriminierenden Hintergrund hatten.

Regina Steiner ist erfahrene Fachanwältin für Arbeitsrecht. Sie und ihre Partnerinnen im Anwaltsbüro Steiner Mittländer Fischer in Frankfurt am Main stellen ihr Spezialwissen aus Überzeugung »nur der Arbeitnehmer*innenseite zur Verfügung«. Sie unterstützen Beschäftigte bei allen rechtlichen Problemen, die im Arbeitsleben auftreten, vertreten Betriebsräte und Gewerkschaften.

www.steiner-mittlaender.de

Frau Steiner, eine Frage!

Lohnt es sich, in kleinen und mittleren Betrieben einen Betriebsrat zu wählen?

»Unbedingt. Sonst kann der Unternehmer – salopp gesagt – machen, was er will. Das Betriebsverfassungsgesetz sagt eindeutig, dass in Betrieben ab fünf Arbeitnehmer*innen Betriebsräte gewählt werden können. In Firmen mit bis zu 20 Beschäftigten greifen nicht alle Beteiligungsrechte. Doch die sogenannte zwingende Mitbestimmung gilt in allen Betrieben, egal wie groß sie sind.

Hierzu zählen alle Themen, die die Arbeitszeit betreffen. Ein Unternehmer darf in einem Betrieb ohne Betriebsrat Beginn und Ende der Arbeitszeit selbst bestimmen. Das nennt man Direktionsrecht. Besteht ein Betriebsrat, dürfen Beginn und Ende der Arbeitszeit nur mit Zustimmung des Betriebsrats festgelegt oder geändert werden. Auch Überstunden müssen in solchen Betrieben nur gearbeitet werden, wenn der Betriebsrat zuvor zugestimmt hat.

Alle Fragen der Ordnung im Betrieb dürfen nur mit Zustimmung des Betriebsrats geregelt werden. Taschen- und Kofferraumkontrollen sind nur erlaubt, wenn der Betriebsrat zustimmt. Ob ich bei Krankheit sofort eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegen muss oder erst mit Ablauf des dritten Tages, bestimmt der Betriebsrat mit. Bei Entgeltfragen regelt er, soweit kein Tarifvertrag besteht, etwa mit, wie Bonuszahlungen verteilt werden oder nach welchen Kriterien ein Dienstwagen vergeben wird.

Und noch ein letztes Beispiel, das in heutigen Zeiten eine große Rolle spielt: Alle technischen Einrichtungen darf der Unternehmer nur einführen, wenn der Betriebsrat zustimmt. Das gilt immer dann, wenn man mit dieser Einrichtung das Verhalten oder die Leistung der Beschäftigten kontrollieren kann. Das betrifft etwa Software, Geräte zur Arbeitszeitaufzeichnung, elektronische Zugangskarten und Videoüberwachung. Die Beschäftigten sollen vor zu großen Eingriffen in ihr Persönlichkeitsrecht geschützt werden. Gläserne Mitarbeiter*innen soll es nicht geben.

Das ist nur ein Ausschnitt, welche Themen ein Betriebsrat auch in kleinen oder mittleren Betrieben beeinflussen kann. Es lohnt sich also unbedingt, eine Interessenvertretung zu wählen. Damit die Beschäftigten zu ihrem Recht kommen.«