Papierverarbeitung

Wer alles will, kriegt Streiks

Arbeitgeber wollen alles: lange Laufzeiten, niedrige Lohnerhöhungen und Öffnungsklauseln | Vierte Verhandlungsrunde ohne Ergebnis | Belegschaften kontern mit Streiks

Warm angezogen, dann raus in die Kälte: Die Nachtschicht von Smurfit Kappa in Jülich hat die Arbeit niedergelegt – für 6 Prozent mehr Geld.

Manche sind sauer, andere enttäuscht. Die Mitglieder der ver.di-Tarifkommission waren überzeugt, die Belegschaften am 15. Januar über den Tarifabschluss vom Vortag informieren zu können. Stattdessen kehrten sie mit leeren Händen aus Berlin zurück. Auch in der vierten Runde ist kein Ergebnis erreicht worden.

Die Verhandlungen schleppten sich über viele Stunden. Das Angebot von ver.di – erste Lohnerhöhung von 2,8 Prozent zum 1. Januar 2019, zweite in Höhe von 1,2 Prozent ein Jahr später, bei einer Laufzeit von 16 Monaten – wies der Arbeitgeberverband zurück. Er will beides: lange Laufzeiten und geringe Lohnsteigerung. 

Mal wurde in kleiner Runde verhandelt, mal nur noch zu viert – je zwei Vertreter von Arbeitgebern und ver.di. Doch es ging nicht vorwärts. »Es war zermürbend«, sagt Burkhard Winterhoff, Betriebsratsvorsitzender von MM Graphia in Bielefeld. 

Alles ist den Arbeitgebern zu viel

Längst war es Nacht. Mit dem nächsten Angebot kam ver.di den Arbeitgebern bei der Laufzeit entgegen. Allerdings bestand die Gewerkschaft auf zusammengerechnet drei Prozent mehr im Jahr. Zuviel, fand der Arbeitgeberverband und winkte ab. 

Genau vier Minuten nach Mitternacht legten die Arbeitgeber ein Papier zu Öffnungsklauseln auf den Tisch. Betriebe in wirtschaftlichen Schwierigkeiten sollen die Lohnerhöhung um sechs Monate verschieben dürfen. Schon in den vergangenen Verhandlungsrunden hatte der Arbeitgeberverband Öffnungsklauseln zur Bedingung für  Lohnerhöhungen gemacht. Jetzt hat der Verband seine Vorstellungen erstmals schriftlich fixiert. Danach muss ein Betrieb dem Betriebsrat und der Gewerkschaft lediglich rechtzeitig mitteilen, dass die Lohnerhöhung um ein halbes Jahr verschoben wird. Mehr ist nicht nötig. Nicht die Zustimmung der Gewerkschaft. Nicht der Nachweis über eine wirtschaftliche Notlage. 

Das empört die Tarifkommission von ver.di noch mehr als das dürftige Lohnangebot der Arbeitgeber. »Wir sind bei Öffnungsklauseln doch gebrannte Kinder«, sagt Hans Schneiderhan, Betriebsratsvorsitzender bei Edelmann in Heidenheim. Er erinnert an Öffnungsklauseln bei der Arbeitszeit. Ein Betrieb nach dem anderen habe davon Gebrauch gemacht und die Arbeitszeiten um bis zu drei Stunden ohne Lohnausgleich verlängert. »Auf einmal ging es allen Betrieben schlecht«, ergänzt Burkhard Winterhoff. Und was heißt schon wirtschaftliche Notlage? Die sähe manch ein Konzern bereits dann, wenn die Gewinne niedriger als im Vorjahr seien.

Der Beteuerung des Arbeitgeberverbandes, nur im Notfall Lohnerhöhungen zu verschieben, glauben sie nicht. Hans Schneiderhan: »Diese Öffnungsklausel darf in der Form nie unterzeichnet werden.« Zumal es bereits Öffnungsklauseln im Tarifvertrag gibt, die Unternehmern erlauben, Arbeitszeit zu verkürzen oder zu verlängern oder die Jahresleistung drei Monate später zu bezahlen. Die sind allerdings an Bedingungen geknüpft, etwa betriebsbedingte Kündigungen zu unterlassen. 

Elf Nullmonate nicht akzeptabel

Zudem würde sich eine sechsmonatige Verschiebung der Lohnerhöhung – zusammen mit den fünf, vom Arbeitgeberverband gewollten Nullmonaten – zu einem Verzicht von fast einem Jahr ausweiten. »Das war’s dann. Weitere Verhandlungen hatten zu diesem Zeitpunkt keinen Sinn mehr gemacht«, erklärt Andreas Fröhlich, einer der beiden ver.di-Verhandlungsführer. 

Begleitet worden waren die Verhandlungen von einer dritten Streikwelle. Da standen die ersten Streikenden schon nachts um 4 Uhr vor dem Tor und hielten aus bis in die nächste Nacht, wie bei der Wellpappe im pfälzischen Sausenheim. Andere trotzten dem starken Schneetreiben bei minus vier Grad, wie Kollegen und Kolleginnen von Bischof + Klein im bayerischen Konzell. Oft wurde den ganzen Tag und die Nacht gestreikt, Produktionshallen blieben leer, Maschinen ausgeschaltet. All das hat Eindruck auf Besitzer und Geschäftsführungen gemacht. Selten wurde in der Papierverarbeitung so oft gemahnt, gedroht und eingeschüchtert wie in dieser Tarifrunde. Beschäftigte von Smurfit Kappa berichten, dass sich erstmals ihr oberster Chef, Boris Maschmann, per Videobotschaft an die Belegschaften sämtlicher Werke in Deutschland gewandt und ihnen ins Gewissen geredet habe. Streiks würden die Aufträge gefährden und die Kunden verprellen. Es stelle sich die Frage, ob Streiks in diesem Umfang angemessen seien, da die Tarifpartner doch noch am Verhandlungstisch nach einer Lösung suchten. 

Auf eine Antwort wird Maschmann nicht lange warten müssen. Die Belegschaften werden sich zum nächsten Verhandlungstermin am 19. Februar sicher wieder zeigen – vor dem Tor.