Interview

Gewerkschaften wären mit dem Klammerbeutel gepudert

Heftige Kritik am Betriebsrentenstärkungsgesetz | Private Altersvorsorge kann Lücken in der gesetzlichen Rente nicht stopfen

Johannes Steffen, promovierter Volkswirt, lange Referent für Sozialpolitik bei der Arbeitnehmerkammer Bremen, heute Betreiber von www.portal-sozialpolitik.de

Es hat einen sperrigen Namen und ist umstritten – das Betriebsrentenstärkungsgesetz – seit Anfang des Jahres in Kraft – soll die Betriebsrente in kleinen und mittleren Unternehmen verbreiten und auch Beschäftigte mit niedrigen Einkommen berücksichtigen. Mit dem Gesetz gibt es eine Reihe von Änderungen. Wir konzentrieren uns auf eine Änderung, die völlig neu ist und Sozialpartnermodell genannt wird.

Dabei verhandeln Unternehmen und Gewerkschaften per Tarifvertrag die Betriebsrente. Das Sozialpartnermodell unterscheidet sich stark von allen bisherigen Formen der Betriebsrente. Denn die Unternehmen müssen keine Renten mehr in bestimmter Höhe garantieren, sondern lediglich zusichern, die (bezuschussten) Beiträge an die Versorgungseinrichtung zu zahlen. Das wird »pay and forget« – zahlen und vergessen – genannt. Deshalb gibt es keine Insolvenzsicherung, weil der Arbeitgeber auch nichts garantieren muss.

Johannes Steffen hält wenig davon. Er war viele Jahre Referent für Sozialpolitik bei der Arbeitnehmerkammer Bremen und erarbeitete sich bundesweit Ansehen als Rentenfachmann. Heute betreibt er die nicht kommerzielle Internetplattform www.portal-sozialpolitik.de zu sozialpolitischen Fragen, Themen und Debatten.

Seit Jahresbeginn gilt das Betriebsrentenstärkungsgesetz. Damit will die Bundesregierung die Verbreitung von Betriebsrenten stärken. Ist das ein richtiger Ansatz, um den Lebensstandard im Alter zu sichern?

Richtiger Ansatz wofür? Um die betriebliche Altersversorgung zu verbreitern? Fraglich. Um die Verluste im Abbau des Niveaus der Rentenversicherung breitflächig auszugleichen – eindeutig nein. Denn die private Altersversorgung kann die Sicherungslücken, die in die gesetzliche Rente gerissen worden sind und weiter gerissen werden, nicht stopfen.

Ist es nicht trotzdem besser, quasi den Spatz in der Hand zu halten als auf die Taube auf dem Dach zu warten, also auf die Stärkung der gesetzlichen Altersrente? Die Neuregelung könnte für bestimmte Beschäftigungsgruppen doch schon Verbesserungen bringen.

Diese Betrachtungsweise ist der Not der Umstände geschuldet. Die Tarifpartner werden durch den Gesetzgeber in die Pflicht genommen, sich bei der betrieblichen Altersversorgung noch stärker zu beteiligen. Doch es geht um ein Modell, das keinerlei Leistungen mehr garantiert. Und dann müssen sich die Gewerkschaften noch an der Verwaltung der Einrichtungen für die betriebliche Altersversorgung beteiligen. Das ist eine sehr zwiespältige, wenn nicht sogar gefährliche Ausrichtung.

Inwieweit gefährlich?

Gewerkschaftsvertreter werden in die Verantwortung genommen. Sie werden am Ende diejenigen sein, die es gegebenenfalls vermasselt haben, wenn sich die jetzt geweckten Erwartungen beim späteren Eintritt ins Rentenalter nicht erfüllen. Denn dann werden diejenigen, die politisch verantwortlich sind für diese Neuregelungen, längst nicht mehr in Amt und Würden sein.

»Das hat in der Alterssicherung nichts verloren«

Sie sehen auch skeptisch auf die Erwartung, dass mit der Neuregelung stärker in Aktien investiert werden darf und damit die betriebliche Altersversorgung künftig an den Gewinnen auf den Aktienmärkten teilhaben kann?

So lange die Aktienkurse steigen, würden die Rentenbezieher von Gewinnen profitieren. Doch wenn die Kurse fallen, werden die Rentner und Rentnerinnen an den Verlusten teilnehmen. Das ist eine sehr stark von Schwankungen des Finanzmarktes abhängige Regelung. So etwas hat in der Alterssicherung nichts verloren. Dort muss es um Sicherheit und Verlässlichkeit gehen.

Das neue Gesetz sieht vor, dass eine Beitragszusage durch Arbeitgeber nur in einem Tarifvertrag geregelt werden darf, die sogenannte Tarifexklusivität. Stärkt das die Gewerkschaften?

Dabei geht mir eher eine Reihe von Möglichkeiten durch den Kopf, bei denen Regelungen des Arbeitsrechtes durch Tarifverträge verschlechtert werden können, zum Beispiel bei der Leiharbeit.

Kann aber diese Tarifexklusivität nicht immerhin dazu führen, dass Gewerkschaften neue Mitglieder gewinnen, die an den wenn auch möglicherweise geringen Verbesserungen teilhaben möchten?

Das ist absurd. Es ist doch nicht so, dass die Gewerkschaften in der Tarifpolitik nicht genug zu tun hätten. Das Verteilungsvolumen steigt durch das Betriebsrentenstärkungsgesetz nicht. Gewerkschaften wären mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn sie annehmen würden, zusätzliche Verteilungsspielräume zu haben, allein dadurch dass sie ein neues Betätigungsfeld bekommen. Im Gegenteil: Wenn man bei der Betriebsrente zusätzlich etwas herausholen wollen würde, ginge das zwangsläufig zulasten der Verteilungsspielräume bei Lohn- und Gehaltstarifverhandlungen.

Zumindest die Bundesregierung verkauft als Fortschritt, dass die neue Form der Betriebsrente nicht mehr auf die Grundsicherung, also die heutige Form der Sozialhilfe, angerechnet würde.

Das ist in der Konsequenz eine weitere Subventionierung privater Altersvorsorge, indem anders als bei der gesetzlichen Rente die Erträge nicht angerechnet werden. Aber das wird in der Praxis nur einen kleinen Personenkreis betreffen, weil ich nicht damit rechne, dass im unteren Einkommensbereich die betriebliche Altersversorgung breit zunehmen wird. Aber es ist schon von grundsätzlicher Bedeutung. Diejenigen, die privat vorgesorgt haben, werden besser gestellt als diejenigen, die es nicht getan haben, weil sie es nicht konnten. Damit werden mehrere Klassen von Altersarmut geschaffen. Außerdem ist es das indirekte Eingeständnis, dass auch die Neuregelung Altersarmut nicht verhindern kann.

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