Interview

»Das sind alles keine Naturgesetze«

DRUCK+PAPIER: Die einen haben viel Einkommen und Vermögen, die anderen wenig Einkommen und kein Vermögen. Sind im Koalitionsvertrag Absichten erkennbar, diese Ungleichheit ändern zu wollen?

Patrick Schreiner: Nein. Vieles wird gar nicht thematisiert. Es wäre zum Beispiel notwendig, die Erbschaftsteuer zu erhöhen. Reiche Erben – insbesondere von Betriebsvermögen – werden in Deutschland geschont. Wir müssten zudem hohe Vermögen besteuern. Außerdem müsste der Einkommensteuersatz für Spitzenverdiener angehoben werden. Die Gewerkschaften fordern 49 Prozent statt heute 42 Prozent, allerdings erst ab einem zu versteuernden Einkommen von 70.000 Euro. So wollen wir große Einkommen stärker belasten und kleine und mittlere Einkommen entlasten. All das würde helfen, Geld von oben nach unten umzuverteilen.

Wie passt der Soli da rein?

Den Solidaritätszuschlag ohne Gegenfinanzierung abzuschaffen, das entlastet überwiegend die Gutverdienenden. Gering- und Normalverdienende zahlen keinen oder nur wenig Soli. Die Koalition plant einen ersten Schritt in diese falsche Richtung.

Patrick Schreiner, 
promovierter 
Politikwissenschaftler, arbeitet im Bereich der Wirtschaftspolitik von ver.di in Berlin.

Würde eine Umkehr in der Steuerpolitik ausreichen, für mehr Umverteilung zu sorgen?

Entscheidend ist die Umverteilung der Einkommen durch höhere Löhne und Gehälter. Dafür sind Tarifverträge das wichtigste Instrument. Leider erfassen sie immer weniger Beschäftigte und Betriebe. Wir brauchen daher mehr allgemein verbindlich erklärte Tarifverträge.

Aber das scheitert doch am Vetorecht der Arbeitgeber?

Das müsste abgeschafft werden. Es kann nicht sein, dass die Arbeitgeber mit einem Nein jeden Antrag abschmettern können. Übrigens oft gegen den Willen betroffener Unternehmen und Branchenverbände. Aber für eine Stärkung der Tarifbindung braucht es noch mehr: Es muss den Unternehmen erschwert werden, Betriebsteile auszugliedern, um sich der Tarifbindung zu entledigen. Und wir müssen die Beschäftigten stärker machen, denn was nimmt Menschen den Mut, sich in der Gewerkschaft zu engagieren, zu streiken, sich zu wehren? Wenn sie befristet beschäftigt sind, in Leiharbeit, in Minijobs. Oder wenn sie als Arbeitslose jeden Job annehmen müssen, weil sonst eine Bestrafung droht.

Und wie soll das geändert werden?

Das alles sind ja keine Naturgesetze. All das war politisch gewollt und kann auch wieder rückgängig gemacht werden. Allerdings müssen wir mit einem enormen Gegenwind von Wirtschaft, Politik und Medien rechnen.

Kann Tarifpolitik die ungleiche Verteilung korrigieren?

Ja klar. Ordentliche Lohnsteigerungen machen die Ungerechtigkeiten kleiner.

Wie viel muss erreicht werden?

Zunächst gilt es, die Preissteigerung auszugleichen und die Beschäftigten an den Produktivitätssteigerungen zu beteiligen – das macht 3 bis 3,5 Prozent für 12 Monate aus. Hinzu kommt eine Umverteilungskomponente. Das wäre wohlgemerkt nicht die Forderung, sondern das, was am Ende idealerweise rauskommt.