Arbeit

Immer auf der Kippe

Sie arbeiten auf Abruf, in Leiharbeit oder in einer Fremdfirma mit Werkvertrag, haben Minijobs oder nur einen befristeten Vertrag. Eines ist bei allen gleich: Ihre Jobs sind unsicher, oft schlecht bezahlt, ohne Perspektive auf eine tarifliche, unbefristete Vollzeitarbeit. DRUCK+PAPIER hat 
gefragt, was sie sich von der nächsten Regierung erwarten.

Befristet: 2,7 Millionen

»Sogar das Leasen eines Autos wird schwierig«

»Zuerst habe ich hier als Leiharbeiterin angefangen. Nach sechs Monaten hat mir der Druckbetrieb dann den Vertrag angeboten, befristet auf ein Jahr. Ich hatte mich bei der Leiharbeitsfirma beworben, weil ich mit Mitte 20 unbedingt bei verschiedenen Firmen Berufserfahrung sammeln wollte. Eigentlich bin ich gelernte Fremdsprachenkorrespondentin, aber da sieht es schlecht aus mit Stellen. Der befristete Vertrag ist zwar nicht schön, aber er hat mich nicht gestört, bis ich mir neulich ein Auto leasen wollte. Dafür musste ich meinen Arbeitsvertrag vorlegen. Wegen der Befristung wollte das Autohaus den Leasingvertrag nicht abschließen; ich habe ihn erst nach längerem Verhandeln doch noch gekriegt. Da war mir klar, ein unbefristeter Vertrag ist besser. Mich nervt auch, dass ich mich schon drei Monate vor Vertragsablauf arbeitslos melden muss. Da weiß ich doch noch gar nicht, ob ich wieder befristet angestellt werde oder doch unbefristet. Ich mache mir Sorgen, dass ich vielleicht gar nicht weiter beschäftigt werde. Je näher das Vertragsende rückt, desto mehr Gedanken mache ich mir.

Um meine Berufsaussichten zu verbessern, absolviere ich jetzt nebenberuflich ein Fernstudium zur Key-Account-Managerin; da gibt es mehr Stellen. Befristete Arbeitsverträge sollten eingeschränkt werden, vor allem; wenn es um eine Position geht, die sowieso dauerhaft besetzt werden muss, wie der zentrale Einkauf. Das zu befristen und die Befristung auch noch drei Mal zu verlängern, nur weil man es kann, verstehe ich nicht.«

Gabriela Castello*, zentraler Einkauf
* Name geändert

 

Arbeit auf Abruf: 1,5 Millionen

Private Termine sind schlecht zu planen

DRUCK+PAPIER: Was bedeutet 
Arbeit auf Abruf für Sie?

Carmen Kupsch: Jeden Mittwoch erhalte ich den Wochenplan, an 
welchen Tagen ich in der Woche darauf arbeite und an welchen Tagen ich freihabe. Ob es Tag- oder Nachtschichten sind, liegt für das ganze Jahr wochenweise fest. Wenn ich private Termine plane, lege ich die auf den Nachmittag nach der Nachtschicht, weil ich da lange im Voraus weiß, dass ich freihabe. Wenn ich Tagschicht habe, kann ich wegen 
der unklaren Arbeitszeiten leider keine Termine länger im Voraus planen. Einen VHS-Sprachkurs über mehrere Wochen könnte ich nicht besuchen.

Werden Sie manchmal von jetzt auf gleich in den Betrieb bestellt?

Es kann passieren, dass sie anrufen und fragen, ob ich kommen möchte, aber das ist eine freiwillige Sache.

Es entstehen Ihnen keine Nachteile, wenn Sie absagen?

Nein. Wenn ich freihabe, habe ich frei.

Was haben Sie vor der Arbeit im 
Verlagshaus gemacht?

Ausgebildet bin ich als Friseurin, 
aber wegen der Kinder war ich zu lange draußen aus dem Beruf. Ich hatte dann einen Minijob, aber da habe ich nur 410 Euro verdient; das war zu wenig für mich als Allein­erziehende.

Liegt Ihr Einkommen jetzt höher?

Ich verdiene 1.071 Euro brutto im Monat plus Nachtzuschläge, 24 Wochenstunden habe ich für ein halbes Jahr garantiert. Wir haben Gleitzeitkonten für Plus- und Minusstunden. Ich lebe mit meinem Partner zusammen und die Kinder sind aus dem Haus; daher komme ich mit dem Geld hin. Vorher, als ich noch eine eigene Wohnung hatte, war das Geld knapp – da hätte ich gerne mehr gearbeitet.

Sollte Arbeit auf Abruf abgeschafft werden?

Einerseits ja, andererseits verstehe ich, dass Kunden kurzfristig Prospekte eingelegt haben möchten oder dass Beilagen kurzfristig entfallen.

Carmen Kupsch*, legt Prospekte ein

 

Leiharbeit: 1 Million

Die Angst, nicht mehr 
auf dem Dienstplan zu stehen

»Ich habe Verkäuferin gelernt und arbeite heute in der Qualitätskontrolle und -sicherung eines Verpackungsherstellers. Davor war ich 17 Jahre fest bei einem Paketzustelldienst, zuletzt als Disponentin. Wenn Not am Mann war, musste ich mit Pakete schleppen. Nachdem ich an einem Tag zwölf Tonnen bewegt hatte, kündigte ich schweren Herzens, um nicht mit Mitte 50 und kaputten Knochen Hartz IV zu beziehen. Die schnellste Möglichkeit, in meinem Alter was zu kriegen, war Leiharbeit. Anfangs habe ich nur 1.531 Euro brutto im Monat verdient. 8,80 Euro in der Stunde.

Das Schlimmste war der befristete Vertrag. Ich musste mit meiner Familie umziehen, aber mit einem befristeten Vertrag kriegt man keine Wohnung. Die Leiharbeitsfirma stellte mich dann unbefristet an. Drei Jahre lieh sie mich an dasselbe Unternehmen aus. Vom ersten Tag an ließen mich dort weder Mitarbeiter noch Management spüren, dass ich Leiharbeiterin bin. Aber anfangs war da immer die Angst, auf dem Dienstplan für die nächste Woche nicht mehr draufzustehen.

Jetzt habe ich, was ich mir wünschte: einen festen Arbeitsvertrag bei dem Verpackungshersteller. Der ging auf ver.di zu, weil er schlechte Erfahrungen mit Leiharbeit gemacht hatte, schloss mit ver.di einen Haustarifvertrag ab und stellte einige von uns Leiharbeitskräften fest ein. Ich werde heute nach Tarif bezahlt, arbeite weniger und verdiene etwas über 2.000 Euro brutto im Monat plus Zuschläge, die höher liegen als vorher. Ich erhalte eine Betriebsrente, vermögenswirksame Leistungen und viel mehr Urlaubs- und Weihnachtsgeld als früher. Aber das Wichtigste ist der Vertrag; der ist in meinem Alter verdammt viel wert. Von der Politik wünsche ich mir, dass Leiharbeiter mehr verdienen als Stammbeschäftigte; dann fiele die Leiharbeit nämlich weg.

Eva Neumann*, in der Qualitätskontrolle

 

Werkvertrag

»Wenn was nicht klappt, 
werden wir rausgeschmissen«

Lars Brunner* ist gelernter Offsetdrucker. Früher wechselte er häufig die Firma, inzwischen findet er keine reguläre Anstellung mehr. Er heuerte deshalb bei einer Leiharbeitsfirma an und wurde als Lkw-Fahrer beschäftigt: »In meinem gelernten Beruf bin ich besser.« Schließlich stellte ihn eine Firma als Drucker an, die einen Werkvertrag mit einer Druckerei hat.

»Anfang der 1990er-Jahre konnte man mit dem Verdienst eine Familie und ein Häuschen aufbauen. Heute geht das nicht mehr.« Lars Brunner verdient 
16 Euro die Stunde, das sind knapp drei Euro unter Tarif. Für Nachtarbeit zwischen Mitternacht und sechs Uhr erhält er 50 Prozent weniger Zuschlag als die Stammbelegschaft, sein Sonntagsnachtzuschlag fällt deutlich geringer aus, das Urlaubsgeld beträgt nur ein Sechstel von dem der Kollegen, auch die tarifliche Jahresleistung ist viel niedriger. Alles in allem rund ein Drittel weniger als Tarif. Sauer wird er, wenn Kollegen aus der Stammbelegschaft sagen, Werkvertragsbeschäftigte nähmen ihnen die Arbeit weg: »Wir würden alle lieber zu tariflichen Konditionen arbeiten.«

Ein Drittel weniger Lohn für Werkvertragsbeschäftigte, dafür mehr Stress: »Wir stehen von der Schnelligkeit und der zu produzierenden Menge her ständig unter Druck von unserer Firma und vom Schichtführer; da passieren auch schneller Fehler.« Kein Risiko für die Druckerei: »Wenn es nicht so klappt, wie sie wollen, werden wir rausgeschmissen.«

Lars Brunner will weiter als Drucker arbeiten, zu besseren Konditionen. Nach der Bundestagswahl wünscht er sich eine Regierung, die das Unwesen der Werkverträge beendet, »damit Löhne gezahlt werden, von denen man leben und etwas aufbauen kann, vor allem junge Kollegen.«

Lars Brunner*, Drucker

 

 

Leiharbeit

Ist-Zustand
Gleiche Bezahlung erst nach 9 Monaten; Höchstüberlassungsdauer: 18 Monate

Das fordert ver.di
Gleiche Bezahlung wie Stammbelegschaft ab dem ersten Tag; nur vorübergehende Überlassung wegen unvorhersehbarer Engpässe; Höchstüberlassungsdauer auf unter 18 Monate senken

 

Arbeit auf Abruf

Ist-Zustand
Arbeitgeber müssen nur zehn Stunden Arbeit pro Woche garantieren, ansonsten unbezahltes Warten auf den Einsatz

Das fordert ver.di
Arbeit auf Abruf wie im § 12 im Teilzeit- und Befristungsgesetz gehört abgeschafft. In Österreich ist sie verboten.

 

Befristung

Ist-Zustand
Befristung in der Regel ohne sachlichen Grund zwei Jahre, maximal dreimalige Vertragsverlängerung gesetzlich möglich

Das fordert ver.di
Keine Befristungen ohne sachlichen Grund (Elternzeit, Krankheit); bei den Gründen für eine Befristung gesetzlich den Missbrauch verhindern

 

Werkvertrag

Ist-Zustand
Werkvertragsfirmen umgehen Tarifverträge und Branchenzuschläge für Leiharbeit; Beschäftigte haben nur Anspruch auf gesetz­lichen Mindestlohn, gesetzlichen Urlaub etc.

Das fordert ver.di
Einsatz von Fremdfirmen gesetzlich begrenzen, Mitbestimmung der Betriebsräte beim Einsatz von Fremdfirmen; Verbandsklagerecht für Gewerkschaften, um gegen Missstände vorzugehen

 

Minijobs

Ist-Zustand
Maximal 450 Euro monatlich, Beschäftigte haben mit dem Minijob keine eigene 
Krankenversicherung und minimale Rentenansprüche

Das fordert ver.di
Vom ersten Euro Verdienst voll in die soziale Sicherung integrieren, Pauschalbesteuerung abschaffen