Menschen & Meinungen

Sagen, was ist

Bernd Johannsen, Betriebsratsvorsitzender bei CPI Clausen & Bosse in Leck, setzt auf Transparenz und offene Diskussionen

»Moin Uwe*, willkommen wieder an Bord. Ist alles gut?« Mit einem kräftigen Händedruck und aufmunterndem Schulterklopfen begrüßt Bernd Johannsen den Kollegen, der zwei 
Wochen krank war und jetzt in der Rotationsdruckerei die Maschine einrichtet. Alle paar Meter schüttelt Bernd Johannsen Hände, tauscht Neuigkeiten aus, fragt nach, ob etwas nicht rundläuft am Arbeitsplatz, wie es der Familie geht. Kolleginnen und Kollegen grüßen von Weitem oder kommen auf ihn zu, weil sie eine konkrete Frage haben. Wenn der Betriebsratsvorsitzende von Clausen & Bosse seinen Rundgang durch die Werkshallen macht, kann das dauern. Rund 580 Beschäftigte arbeiten beim größten Arbeitgeber der 8.000-Einwohner-Gemeinde Leck nahe der dänischen Grenze. Bernd Johannsen kennt sie alle.

Was der Betriebsratsvorsitzende gar nicht mag, ist im Rampenlicht stehen. Schon der Wunsch, ihn für die DRUCK&PAPIER zu porträtieren, stieß bei ihm nicht gerade auf Begeisterung. »Ich mag solche persönlichen Geschichten eigentlich nicht«, gesteht er. Vielmehr versteht er sich als Teamplayer, wie der Kapitän einer Fußballmannschaft, der ohne seine Elf wenig ausrichten könnte. Sein Team, das ist der elfköpfige Betriebsrat, allesamt ver.di-Mitglieder. Transparenz und Offenheit gehören zu den Grundsätzen von Bernd Johannsen. Sagen, was ist, die gesamte Belegschaft immer sofort auf den aktuellen Stand bringen. Besonders wenn es ums Geld geht, hört für die meisten Kolleginnen und Kollegen der Spaß auf. »Dann die Stimmung richtig einzuschätzen – liege ich richtig? Umarmen sie mich gleich oder wollen sie mich aus dem Fenster kicken? Das ist die große Frage.« Plötzlich mischt sich ein nachdenklicher Ton in seine Stimme: »Das Schlimmste ist, eine Abstimmung geht den Bach runter. Wir Betriebsräte sind ja letztlich diejenigen, die gegrillt werden, wenn etwas schiefläuft.« 
Und – ist das schon mal passiert, hat das schon mal jemand versucht? »Von dem würden nur noch die Schuhe dastehen«, sagt Johannsen mit einem breiten Grinsen.

Bernd Johannsen (62) absolvierte von 1970 bis 1973 eine Ausbildung zum Industriebuchbinder bei Clausen & Bosse in Leck. Nach vier Jahren bei der Bundeswehr kehrte er 1978 zu seinem Ausbildungsbetrieb zurück, dem er bis heute treu geblieben ist. 2002 wurde er in den Betriebsrat gewählt. Seit 2006 ist er dessen Vorsitzender. Darüber hinaus ist Bernd Johannsen Mitglied im Konzernbetriebsrat und im Europäischen Betriebsrat der französischen CPI-Gruppe. Er ist ferner Mitglied im Bezirksvorstand Westküste von ver.di sowie der Tarif- und Verhandlungskommission für die Druck
industrie.

Beschäftigung gesichert

»Der Wettbewerb in der Branche ist hart. Das veränderte Leseverhalten durch digitale Medien einerseits und Tarifflucht, beziehungsweise der um 15 Prozent reduzierte Tarif Ost, setzen uns stark unter Druck«, beschreibt Johannsen die Lage. »Deshalb haben wir uns 2005 entschlossen, eine Betriebsvereinbarung zur Standort- und Beschäftigungssicherung abzuschließen.« Im Kern ging es darum, dass eine halbe Stunde pro Tag, die bis dahin auf das Arbeitszeitkonto aufgelaufen war, geopfert wird und der Arbeitgeber im Gegenzug betriebsbedingte Kündigungen ausschließt. »Das wurde in der Belegschaft und bei ver.di durchaus kritisch gesehen«, erinnert sich Bernd Johannsen. »Man hat ja damals eher auf Geld verzichtet, um die schwer erkämpfte 35-Stunden-Woche hochzuhalten. Wir haben dagegen gesagt: Lieber die Zeit opfern als das Geld. Das war der Tenor bei uns.«

Es sei nicht einfach gewesen, die Kolleginnen und Kollegen von dem Deal zu überzeugen. »Ich will das gar nicht kleinreden im Nachhinein«, sagt Johannsen und erinnert sich: »Der gesamte Betriebsrat war gefordert. Wir haben in allen sechs Abteilungen intensive Gespräche mit den Kolleginnen und Kollegen geführt, immer wieder das Für und Wider gegeneinander abgewogen. In der Nacht haben wir angefangen. Am nächsten Tag haben wir die Gespräche fortgesetzt. Nach 36 Stunden hat sich die gesamte Belegschaft ihre Meinung gebildet. Das Ergebnis haben wir dann allen ver.di-Mitgliedern – das sind in der Technik rund 90 Prozent – schriftlich zur Abstimmung vorgelegt.« »Wie hoch war noch mal die Zustimmung?«, ruft Bernd Johannsen seinem Stellvertreter Arne Klindt am Schreibtisch gegenüber zu. »94 Prozent«, antwortet dieser, ohne zu zögern.

Bislang ist die Belegschaft von Clausen & Bosse mit der Beschäftigungssicherungsvereinbarung denn auch gut gefahren. »Seit 2005 hat es keine betriebsbedingten Kündigungen gegeben«, freut sich der Betriebsrat. Im Gegenteil: Der Betrieb in Leck, der seit 2002 als einer von drei Standorten in Deutschland zur französischen CPI-Gruppe gehört, wird seit 2011 zu einem digitalen Druckzentrum ausgebaut.

»2014 war dann die Frage, ob der Konzern weitere sechs Millionen Euro für eine moderne Digitalrotation investiert. Eine Entscheidung für die Zukunft des Standortes Leck«, erklärt Johannsen. »Da aber noch unsicher war, inwieweit der Markt den noch nicht so verbreiteten digitalen Farbdruck akzeptiert, die Investition also mit einem hohen Risiko verbunden war, hat die Geschäftsführung die Entscheidung abhängig gemacht vom Entgegenkommen der Belegschaft.«

Offen für Argumente

»Eigentlich bin ich ein ruhiger Typ«, sagt Johannsen von sich. »Wo ich aber die Contenance verliere, das ist, wenn auf der anderen Seite nur Habenwollen steht ohne jede Gegenleistung.« Arne Klindt hebt eine zweite Eigenschaft von Bernd Johannsen hervor: »Er hat auch die Fähigkeit, in Verhandlungen den richtigen Ton zu treffen.« Fragt man Kollegen im Betrieb, fällt ihnen spontan ein, dass er knallhart seine Positionen vertritt, gleichzeitig aber offen ist für Argumente. Und natürlich weiß jeder im Betrieb und im Ort, dass der 62-jährige große Blonde mit dem breiten Kreuz früher Rückraumspezialist des MTV-Handballvereins in Leck war und so manchen Angriff erfolgreich abgewehrt hat. Auch bei seinem Hobby, dem Fliegenfischen, werden ähnliche Fähigkeiten verlangt wie bei seinen Verhandlungen mit der Geschäftsführung: stundenlang bis zum Bauch in reißend kaltem Wasser stehen und mit großer Geduld auf den richtigen Moment warten können. So war es auch bei den Verhandlungen um die Installation des Sechs-Millionen-Objekts. Das Ergebnis: Die Lohnerhöhung wurde um ein halbes Jahr verschoben; dafür wurde die Maschine in Leck aufgebaut und der Standort zukunftsfest gemacht. Auch dieser Vereinbarung stimmten über 90 Prozent der Belegschaft in einer schriftlichen Befragung zu.

Gewerkschaft ist Teil der Familie

Wie Betriebsrat und Belegschaft, ebenso wie seine Ehefrau und zwei erwachsene Töchter, ist auch die Gewerkschaft Teil von Bernd Johannsens großer Familie. »Bei uns war es eigentlich schon immer so: Wer bei Clausen & Bosse arbeitet, ist in der Gewerkschaft.« Als Mitglied im ver.di-Bezirksvorstand Westküste und der Tarif- und Verhandlungskommission für die Druckindustrie steht er auch bei Tarifverhandlungen in vorderster Front. So wie beim Streik im letzten Frühjahr. Die Arbeitgeber der Druckindustrie hatten 0,7 Prozent mehr Lohn angeboten. Für die Tarifkommission nicht verhandelbar. »Wir haben einen gut funktionierenden Ortsverein und einen gut aufgestellten Bezirk«, stellt Bernd Johannsen fest. Drei Tage später war der Betrieb dicht, für 24 Stunden. Warnstreik. »Hier reicht es, wenn sich die Tarifkommission morgens um fünf mit Fahnen und Flyern vor das Tor stellt. Dann drehen die Kolleginnen und Kollegen gleich wieder um. Danach waren die Verhandlungen auch schnell beendet«, bemerkt der Gewerkschafter mit einem süffisanten Lächeln. Zwei Prozent mehr für das erste Jahr und 1,8 Prozent für das zweite lautete das Ergebnis.

*Name geändert

 

Clausen & Bosse

wurde als Buchdruckerei und Buchbinderei 1951 in Leck gegründet. Heute gehört der Betrieb zur französischen CPI Gruppe, die mit Tochtergesellschaften an 17 Standorten in sieben Ländern mit rund 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein Marktführer der klassischen und digitalen Buchproduktion in Europa ist. Zur deutschen CPI-Organisation gehören neben Clausen & Bosse in Leck die Standorte Ebner & Spiegel in Ulm und buch bücher.de in Birkach.