Hintergrund

Print 4.0

Fenster schließen sich, noch bevor Regen niedergeht, und der Kühlschrank ordert selbst Nachschub, wenn Lebensmittel knapp werden. Esse ich zu schnell, piepst die Gabel und mahnt mich, mein Tempo zu drosseln. Und mein Fitnessarmband informiert mich über den eigenständig vereinbarten Termin beim Arzt, natürlich nach Gegencheck mit meinem Kalender. Jedes Gerät redet mit jedem, aber offensichtlich nicht mit mir. Das und Ähnliches ist zu lesen, wenn vom Internet der Dinge die Rede ist.

Ein Marketingbegriff

Erwartet uns das auch am Arbeitsplatz? Oder was steckt hinter diesem »Industrie 4.0«? Ich schlage nach und komme zu der ersten nüchternen Erkenntnis: »Industrie 4.0« ist ein von Unternehmen und der Bundesregierung ausgedachter Begriff, um einen neuen Technologisierungsschub zu beschreiben. »Industrie 4.0« ist ein Marketingbegriff und soll signalisieren, dass wir am Beginn der vierten industriellen Revolution stehen. Das finden auch die Medien: »Die Arbeitswelt steht vor einem dramatischen Umbruch«, schreibt etwa die Wochenzeitung Die Zeit. »Maschinen und Dinge reden miteinander und vernetzen sich zur klugen Fabrik.«

Gedruckte Elektronik

Das klingt spannend. Dann mal los. Was kann die kluge Druckfabrik? Was wird sie an Produkten hervorbringen? Ich frage Professoren und Professorinnen an den Hochschulen – die müssen das wissen. »Print 4.0«, wird mir erzählt, »ist das vernetzte Druckprodukt.« Etwa ein Türanhänger mit aufgedruckter Elektronik, der dem Servicepersonal digital mitteilt, dass man nicht gestört werden möchte. »Print 4.0«, sagt ein anderer Professor, »das ist das personalisierte Druckprodukt. Zum Beispiel das Fotobuch, ein Original und einzigartig, einmal erstellt, einmal gedruckt, nur für mich. Der Fotokalender als Einzelexemplar, die personalisierte Postkarte, das personalisierte Fotoposter.«

Mal banal, mal pfiffig

Ein anderer spricht von individuell zusammengestellten Zeitungen in allen möglichen Sprachen. Der Nächste denkt an elektronische Funketiketten, sogenannte RFID (Radio Frequency Identification)-Chips, die über Radiowellen geortet werden und etwa bei einer verdorbenen Milchpackung ein Signal abgeben. Auf transparente Folie gedruckte Solarzellen, die auf Fensterscheiben und Wänden angebracht werden. Auch die Idee der smarten, also intelligenten Verpackung, gibt es: Die Verpackung registriert, wann eine Tablette herausgedrückt wurde, und leitet die Daten an den Arzt weiter.

»Mal banal, mal pfiffig«, denk ich mir. Und ein Fall für den Datenschutz. Ich stelle aber auch fest: So richtig einig sind sich die Professoren nicht; jeder scheint etwas anderes unter »Industrie 4.0« zu verstehen. Vielleicht werde ich auf dem Fachkongress bei Heidelberger Druckmaschinen schlauer. Der wird von den beiden Unternehmensverbänden Druck und Medien in Bayern und Baden-Württemberg veranstaltet und heißt: »So geht Zukunft! Druckindustrie 4.0«. Das klingt nach Antwort und Lösung zugleich.

Neue Ideen

Dort erfahre ich, dass es nicht reiche, gute Produkte zu drucken. Und: »Print 4.0« sei weit mehr, als nur digital zu drucken und 
immer mehr zu automatisieren. 
Druckereien sollten sich vielmehr beim Kunden mit mehr Service und mehr Ideen unentbehrlich machen. Indem sie etwa deren Web-Portale betreiben sowie Konfektionierung und Lieferung übernehmen. Oder daran basteln, dass die Sekretärin per Knopfdruck Briefbögen bestellen kann, ohne umständlich nach altem Auftrag und Lieferschein suchen zu müssen. Viele Referenten waren eingeladen, um die rund 150 Besucher (und wenigen Frau
en) – Druckereibesitzer und Führungsleute – 
zu informieren. Einen Tag lang ging es um »Print 4.0« und nicht ein einziges Wort fiel zu den Beschäftigten. Spielen die keine Rolle?

Einstellen statt entlassen

Ich frage Professor Klaus Thaler von der Hochschule der Medien in Stuttgart. Der kennt die Probleme der Druckereien: harter Wettbewerb, fallende Preise. Von den bislang praktizierten Gegenmaßnahmen der meisten Druckereibesitzer hält er jedoch nichts.

»Man kommt doch nicht aus dem Hamsterrad der Kostenfalle, indem man sämtliche Prozesse lässt, wie sie sind, aber Personalkosten senkt und Mitarbeitern kündigt.« Er empfiehlt den Druckereien, kreative Köpfe einzustellen, sich mit den Hochschulen zusammenzutun und neue Ideen zu entwickeln. Was Druckereien jetzt unternehmen sollten, 
erklärt er unter 
www.verdi-drupa.de.

Das Bundeswirtschaftsministerium hat eine Landkarte mit Praxisbeispielen für »Industrie 4.0« veröffentlicht (www.bit.ly/karte-4-0). Fast 300 Pilotprojekte sind dort aufgeführt, darunter ein einziges aus der Druckindustrie: Die Druckerei Hofmann im südostbayerischen Traunreut, eine knappe Autostunde von Salzburg entfernt. Kann ich mir dort »Print 4.0« in der Praxis anschauen? Leider nicht. Zu viel zu tun, keine Zeit, sagt 
Thorsten Kelp, der zur Geschäftsführung gehört und oft in- und ausländische Besucher durch die Druckerei führt, weil jeder mal 4.0 anschauen will. Dabei gibt es bei den digitalen Prozessen nur wenig zum Schauen.

»Print 4.0« geht in Traunreut so: Die Druckerei Hofmann loggt sich regelmäßig und von selbst in das SAP-System von BSH Hausgeräte ein. In der Fabrik, nur 300 Meter entfernt, werden Herde hergestellt. Herde in allen möglichen Ausstattungen für zig verschiedene Länder. Das bedeutet Hunderte unterschiedlicher Varianten. Und jeder Herd erhält sein eigenes Informationspaket: Gebrauchsanweisung, Montageanleitung, Kundendienstverzeichnis, Garantiekarte – bis zu 20 verschiedene Produkte aus Papier, gedruckt, zusammengetragen und in einer Tüte verpackt.

Unentbehrlich

Und das ist der Job der Druckerei: Jeder Herd soll rechtzeitig das richtige Informationspaket erhalten. Deshalb loggt sich die Druckerei ins SAP-System der Fabrik ein. Damit sie genau weiß, wann welcher Herd produziert wird. Nur vier Stunden bevor BSH Hausgeräte loslegt, startet der Druck. Übrigens: Die 50 Beschäftigten, Buchbinder, Helfer, Offset- und Digitaldrucker, »nicht nur junge Leute«, wie Kelp sagt, sind alle noch da. In der Fertigung wurde zusätzlich Personal eingestellt. »Die Belegschaft ist gut mitgegangen.« Und die Druckerei Hofmann hat sich unentbehrlich gemacht bei BSH Hausgeräte.