Auszeit

Der Mann, von dem die Sonne stammt

Schon im Flur wird man aufgehalten. Vom Gucken. Plakate, Fotos, Gemälde, Karikaturen – bei Zimmermanns erzählen die Wände Geschichten. Kaum Weißraum im Treppenhaus und in den Zimmern hängen Freunde. »Hier«, sagt Wilhelm Zimmermann, »Bilder von den Cartoonisten Hans Traxler und Felix Mussil.«

Treppe runter in den Keller. Dort steht eine Druckmaschine, gleich daneben ein Setzkasten. Er ruckelt und zieht, die Schubladen klemmen, der ganze Kasten ist verzogen. Aber alles sauber abgelegt, nichts ist verfischt. So hieß das bei den Schriftsetzern, wenn Lettern in den falschen Fächern abgelegt waren. 
Im Keller seines Hauses in Frankfurt am Main treffen sämtliche Vergangenheiten von Wilhelm Zimmermann, 80, aufeinander. Die ganz frühe als Schriftsetzer und die spätere als Grafikdesigner. Stoßweise stapeln sich, liegen und kippen aufgezogene Plakate: noch in Luftpolster eingepackt von der letzten Ausstellung, lose oder eingeklemmt. Mitten durch seine Ideen tänzelt Zimmermann. Schmal, schwarze Hose, schwarzes Hemd, barfuß. Da ist sie, die lachende Sonne – er guckt mit dem kritischen Blick des Werbefachmanns auf das Motiv, das monatelang in den Betrieben, auf Demos und Straßen zu sehen war, Parteien, Arbeitgeber und Medien in Rage versetzte und Symbol war für die 35-Stunden-Woche: »Finde ich immer noch gut.« Die aufgehende Sonne, »eine fröhliche Sache«. Die 3 und die 5 versetzt, da ist was in Bewegung. Nicht hintergründig, aber eine klare Botschaft. »Ein vernünftiges Plakat«, sagt Wilhelm Zimmermann, »braucht eine 
Direktwirkung. Man muss sofort wissen, worum es geht.«

Obwohl ihm einer mal genau das Hintergründige bescheinigte: Zimmermanns Bilder wirkten auf den ersten Blick fast zu direkt, lösten dann aber aus, was gerade ein Bild besonders gut könne: Nachdenklichkeit, Auseinandersetzung, Einsicht. »Jede einzelne Arbeit verlangt die Auseinandersetzung, erzwingt geradezu die Anstrengung des Denkens. Dem Betrachter, der Betrachterin wird nichts geschenkt«, so Professor Hilmar Hoffmann, damals Kulturstadtrat in Frankfurt, der 1990 die Laudatio hielt, als Zimmermann den Kulturpreis seiner Geburtsstadt Koblenz erhielt. Für Klaus Klemb, einst Leiter der Abteilung Kunst der Stadt Frankfurt, war er ein »kreativer Ruhestörer«.

Erst neulich hat sich wieder einer bei einer Ausstellung mokiert. Wie kann man nur eine Taube an eine Eisenkugel festketten! So ist es natürlich nicht. Die Kette liegt lose unter dem Tier und die Kugel ist ein angemalter Tennisball. Damit die Taube aber auch zum Fenster guckt, sollte der Fotograf blitzschnell auf den Auslöser drücken, sobald Zimmermann »jetzt« rief und das Licht anknipste. Hat geklappt. Die Taube guckt.


Zeit für die 35

»Wäre mal wieder Zeit dafür«, sagt Zimmermann. Für die 35. Jetzt machen sie ja was, die Gewerkschaften – für eine bessere Rente und für vernünftige Arbeitszeiten. Das reicht ihm aber nicht: »Gewerkschaften müssten viel mehr auftrumpfen, sich viel mehr in der Öffentlichkeit zeigen, viel mehr dafür tun, um die Menschen auf die Beine zu bringen.«

Von Mon Chéri zu Amnesty

Schuld war die Schwangerschaft seiner Frau. Hätte sich nicht Tochter Diana angekündigt, wäre Wilhelm Zimmermann Anfang der 70er-Jahre zum italienischen Süßwarenproduzenten Ferrero nach Turin gegangen. Weil Firmenchef Michele Ferrero begeistert von ihm gewesen sei, erzählt Zimmermann über Zimmermann. In der Werbeagentur McCann war er damals zuständig für die Vermarktung von Ferrero-
Produkten wie Tic Tac, Kinderschokolode, Mon Chéri. »Tic Tac, die neue Tactic« – der Spruch stammt von ihm. Genauso wie: »Zeigen Sie Ihrem Nachbarn, dass mit Ihnen gut Mon Chéri essen ist.« Oder die Idee, eine offene Packung zu präsentieren, in der neben jeder verpackten Branntweinpraline eine echte Kirsche liegt, eine »Piemont-Kirsche«. Gibt’s natürlich nicht, die ist eine Erfindung der Werber und eine Ehrung der italienischen Region Piemonte, aus der die Ferreros stammen.

Es war eine gute Entscheidung, die Werbeagentur zu verlassen, sagt er heute. Obwohl er gern Werbung gemacht hat und stolz ist auf seine Plaques-Plakate für Blendax und Luftbilder für Lufthansa. Doch hätte seine Frau wegen der Schwangerschaft nicht zu Hause bleiben wollen, hätte sich Wilhelm Zimmermann nicht selbständig gemacht und die vielen Titelbilder für die metall und Der Gewerkschafter entworfen, dann wäre auch die IG Metall nicht auf ihn zugekommen wegen der Kampagne für die 35-Stunden-Woche. Und es hätte nie eine Plakatserie für Amnesty International zu Menschenrechtsverletzungen gegeben. »Das hat mir mehr Freude gemacht, als die Mon Chéri immer und immer wieder umzudrehen.«

Seit 65 Jahren in der Gewerkschaft

Mehr Spaß, mehr Inhalt, mehr Zimmermann – 
mit den politischen Plakaten ist Wilhelm ­Zimmermann zurückgekehrt zu seinen Wurzeln, sagt er. Er hat Schriftsetzer gelernt und ist schon während der Ausbildung in die IG Druck und Papier eingetreten und bei ihr geblieben: 65 Jahre lang. Mitglied der IG BAU (Bauen, Agrar, Umwelt) ist er auch, nur nicht von der IG Metall, obwohl ihn die am häufigsten beauftragte. Vom Beruf des Schriftsetzers ging es über Abendschule, Werkkunstschule, Kunst­akademie zur Fachhochschule in Stuttgart. Später Art Director bei McCann, einer der damals weltgrößten Werbeagenturen. Jurymitglied, Gastprofessor, Förderer und Buchautor, unzählige Ausstellungen, Gründer der Werbeagentur Zimmermann, die heute sein Neffe leitet.

Demnächst sind wieder Bilder von Wilhelm Zimmermann im DGB-Haus in Frankfurt am Main, Wilhelm-Leuschner-Straße 69–77, zu sehen.
www.wilhelmzimmermann.de

 

Links: »Ihr könnt das Wort verbieten – Ihr tötet nicht den Geist«, Plakat für Amnesty International von 1985, getragen vom neuen DGB-Vorsitzenden in Frankfurt, Philipp Jacks.

Mitte: Die Titelbilder der metall-Zeitung waren damals ganz besondere: »Emotional packend und nicht selten provozierend, die erzwingen Nachdenken und Auseinandersetzung«, sagte Ex-IG-Metall-Vorsitzender Franz Steinkühler.

Rechts: Friedensplakat von 1980