Arbeit

Gefährdungsbeurteilung

Die Beispiele Weser-Kurier, Kieler Nachrichten und Huhtamaki

Weser-Kurier: »Die Sorge um den Arbeitsplatz macht einen fertig«

Bei Gefährdungsbeurteilungen werden manchmal Fehler gemacht. Einer von ihnen: Die Belegschaft ist schlecht informiert, weiß nicht genau, was mit den Antworten aus den Fragebögen geschieht und hat Bedenken wegen des Datenschutzes. Die Folge: Es machen nur wenige mit. Ein schlechter Start.

Wie es anders gehen kann, zeigt der Betriebsrat der Bremer Tageszeitungen (Weser-Kurier). Ein halbes Jahr hat der Betriebsrat Werbung gemacht, auf einer Betriebsversammlung die Methoden, Hintergründe und Auswertung erklärt, auf Abteilungsversammlungen dafür geworben und mit Aushängen, E-Mails und in persönlicher Ansprache erinnert. Mit Erfolg. Fast 60 Prozent der knapp 400 Beschäftigten haben den Fragebogen ausgefüllt. Trotz der beinahe 100 Fragen. Der Rücklauf war auch deshalb hoch, vermutet die Betriebsratsvorsitzende Ruth Gerbracht, weil die Befragung genutzt wurde, »um Dampf abzulassen«.

Nur zwei Beispiele: Freiwerdende Stellen in der Redaktion sind überwiegend nicht wiederbesetzt worden. Die Redakteur/innen schieben 5.800 Überstunden vor sich her. Und seit etwa fünf Jahren wabern Gerüchte durch den Verlag, ob überhaupt noch ins Druckhaus investiert oder nicht besser woanders gedruckt werden sollte. Seitdem treibt die rund 90 Beschäftigten im Druckhaus die Angst um den Arbeitsplatz um. Nicht ohne Grund. Seit langem ist dort eine ganze Maschinenlinie fremdvergeben; die Stammbelegschaft arbeitet Seite an Seite mit Arbeitnehmer/innen, die zu schlechteren Konditionen beschäftigt werden. Und wie angeschlagen die Belegschaft ist, zeigt sich in den vielen Krankheitsfällen, darunter auch psychische Erkrankungen.

Das hat sich in der Befragung niedergeschlagen. Die Belegschaft stellte dem Verlagshaus ein schlechtes Zeugnis in puncto Wertschätzung aus. Man werde so gut wie nie gelobt oder gefördert und oft auch nicht über die Vorgänge und Pläne im Haus informiert. Viele Beschäftigten fühlten sich lediglich als Kostenfaktor. Im Druckhaus gab es Antworten wie »Die Sorge um den Arbeitsplatz macht einen fertig. Ich bekomme schon Magenschmerzen, wenn ich daran denke.« Außerdem wurden die mangelnden Führungsqualifikationen der Ressort-, Team- oder Abteilungsleiter moniert.

Nach der Befragung diskutierten je fünf bis neun Kolleg/innen in drei dreistündigen Workshops, was besser gemacht werden könnte. Begleitet von einer Arbeitspsychologin der BG ETEM; die Berufsgenossenschaft gehörte auch zum Lenkungskreis. Ausgewertet wurde die Befragung von einem externen Institut. Kurzum: Die gesamte Gefährdungsbeurteilung beim Weser-Kurier war aufwändig. Doch selbst kleine Ideen wie den Obstkorb in den Abteilungen gibt es bis heute nicht. Auch kein interaktives Intranet. Keine Arbeitsplatzsicherung fürs Druckhaus. Keine Neueinstellungen in der Redaktion. Stattdessen hat das Verlagshaus bekanntgegeben, dass das Druckhaus nicht mehr der Tarifbindung unterliegt, was für die Redaktion und die Verlagsangestellten bereits seit zwölf Jahren gilt. Und dass weder im Druckhaus noch in der Redaktion die jüngsten Tariferhöhungen bezahlt werden. »So viel zum Thema Wertschätzung«, sagt die Betriebsratsvorsitzende Ruth Gerbracht ironisch. Sie hält es dennoch für wichtig, die Gefährdungsbeurteilung durchgeführt zu haben. »Wir können die Unzufriedenheit in der Belegschaft nun belegen.« Resigniert hat sie nicht. Wenn sich der Verlag nicht kooperativ zeige, müssten die Tariferhöhungen eben von jedem Einzelnen eingeklagt und die Überstunden vor Gericht verhandelt werden.

Kieler Nachrichten: Der Betriebsrat kümmert sich

Wie die Gefährdungsbeurteilung durchgeführt wird, lässt das Arbeitsschutzgesetz offen. Den Beschäftigten seitenlange Fragebögen aus dem Internet in die Hand zu drücken und sie damit allein zu lassen, ist keine gute Idee. Die Fragen sind oft kompliziert formuliert, nicht auf die betriebliche Situation zugeschnitten und zu umfangreich.

Anders sind die Kieler Nachrichten vorgegangen, die sich Unterstützung vom MediTÜV Nord geholt hatten. Die Belegschaft wurde in 26 Arbeitseinheiten unterteilt, jede Einheit schickte etwa zehn Beschäftigte, die unter Begleitung des TÜV Nord Checklisten zu den Themen Stress, Monotonie, psychische Sättigung (durch das häufige Wiederholen einer Tätigkeit) und psychische Ermüdung ausfüllten. Die Ergebnisse aus der Befragung sollten zunächst einen groben Überblick über die Belastungen geben. Fielen Arbeitsplätze besonders auf, wurden die Beschäftigten dort eingehend befragt; in moderierten Workshops diskutierten Freiwillige mögliche Lösungen.

Die Ergebnisse haben den Betriebsrat nicht überrascht. »Über das teilweise sehr problematische Führungsverhalten haben sich Kollegen und Kolleginnen immer wieder bei uns beschwert«, sagt Betriebsratsvorsitzende Claudia Paustian. Ganz große Probleme offenbarten sich mit der Gefährdungsbeurteilung nicht. Belastungen durch Lärm, schlechte Lichtverhältnisse, lästige Gerüche durch Wasch- und Reinigungsmittel im Druckhaus kamen dabei auch zur Sprache und konnten zum Teil recht schnell beseitigt werden – und sei es die undichte Tür zum Leitstand zu reparieren, um den Lärm draußen zu halten.

»Eine sehr arbeitsintensive Zeit«, sagt Betriebsratsvorsitzende Claudia Paustian rückblickend. Sie hält die Gefährdungsbeurteilung für ein gutes Instrument, um als Betriebsrat einen engen Kontakt zu den Kollegen und Kolleginnen zu halten.

Huhtamaki: Nach gutem Start alles auf Eis gelegt?

Häufig berichten Betriebsräte, dass sie es sind, die Gefährdungsbeurteilung im Betrieb anstoßen müssen. So war das auch bei Huhtamaki in Ronsberg. Allerdings hat die Geschäftsleitung erst zugestimmt als die Gewerbeaufsicht nachhakte, ob die psychischen Gefährdungen ermittelt würden.

Auch Huhtamaki hat mit Fragebögen gearbeitet und sich externe Unterstützung geholt. Die ersten Ergebnisse liegen bereits vor, berichtet Betriebsratsvorsitzender Werner Bareth. Sie unterscheiden sich von Abteilung zu Abteilung. Als positiv bewerteten die Befragten in einer Abteilung die guten sozialen Beziehungen und dass sie keine Angst um den Arbeitsplatz haben müssen. In einer anderen Abteilung schätzten die Beschäftigten ihren allgemeinen Gesundheitszustand als äußerst kritisch ein. Aufschlussreich seien die Zusatzbemerkungen, erzählt Bareth. Einer schrieb, dass das Alter bei der Arbeit berücksichtigt werden sollte und der Stress mit Erfahrung kaum ausgeglichen werden könne. Andere forderten mehr Wertschätzung, mehr Anerkennung, eine bessere Kommunikation zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern. Einer schrieb, dass die Probleme an der Maschine schneller behoben würden als die Probleme der Beschäftigten.

Inzwischen sind rund 100 der mehr als 1.000 Beschäftigten befragt worden. Doch mitten in den Prozess, der die Arbeitsbedingungen der Belegschaft hätte verbessern können, platzt die Nachricht aus Finnland: Der Konzern wird umgebaut, aus dem Ronsberger Betrieb sollen drei Business Units und eine sogenannte zentrale Einheit entstehen. »Ich fürchte, damit liegt die Gefährdungsbeurteilung auf Eis«, sagt der Betriebsratsvorsitzende.

Welche psychischen Gefährdungen gibt es?

• Unter- oder Überforderung
• Festgelegte Zeiten, wann was erledigt sein muss, ohne Einfluss nehmen zu können
• Keine oder zu späte Informationen zu einer Arbeitsaufgabe
• Zu wenig Verantwortung trotz Qualifikation; zu große Verantwortung ohne Qualifikation
• emotionale Belastung (etwa immer freundlich sein, auch wenn Kunden aggressiv und unhöflich sind)
• arbeiten, wenn andere frei haben
• hohe Belastung während der Nachtschicht
• kurzfristige Änderungen in Schichtplänen
• zu viele Nachtschichten hintereinander
• Pausen/Ruhezeiten werden nicht eingehalten
• zu hohe Arbeitsmenge, zu wenig Personal
• zu viele Termine, Termine überschneiden sich
• ständige Störungen bei der Arbeit
• hoher Zeitdruck
• fehlende soziale Kontakte
• arbeiten bei Lärm, in räumlicher Enge, Hitze/Kälte/wechselnde Temperaturen