Menschen & Meinungen

Brief an die Redaktion

Hallo Kolleginnen und Kollegen,

fünf Prozent mehr Lohn klingt erstmal gut. Doch fünf Prozent von was? Welche Betriebe sind denn noch im Tarif? Seit 1978 bin ich als Drucker tätig, zuletzt als Maschinenführer im Rollenoffset. Nachdem mein Arbeitgeber Stürtz/Phoenix Print in Würzburg innerhalb von zwei Jahren zum zweiten Mal Insolvenz anmeldete, bin ich seit März mit fast 57 Jahren arbeitslos. Schon seit Jahren wurde nur noch ein Teil der Jahresleistung und des Urlaubsgelds gezahlt, seit der Insolvenz 2013 gab es nichts dergleichen mehr. Für 35 bezahlte Stunden musste die Belegschaft im Rahmen eines »Sanierungstarifs« 40 Stunden ableisten. Das bedeutete zum Schluss für die Lohngruppe 7 statt 20,65 nur noch 18,07 Euro pro Stunde. Gleichzeitig verschlechterten sich die Arbeitsbedingungen durch erhöhten Leistungsdruck, miserabel gewartete Maschinen und negative Stimmung infolge der undurchschaubaren Geschäftspraktiken. Nach diversen Insolvenzen, Fusionen und Übernahmen waren ich und etliche weitere Kolleginnen und Kollegen ihren Job los (siehe u.a. Druck+Papier November 2015: www.drupa.verdi.de/archiv). Bis Ende August besteht eine Transfergesellschaft. Nur: Transfer wohin? Mit gut 56 wohl in die Dauerarbeitslosigkeit bzw. den sozialen Abstieg!

Wenn überhaupt einmal eine Bewerbung bei den ansässigen Rollenbetrieben berücksichtigt wird, ist schnell klar, dass von Tarif keine Rede sein kann. Jahresleistung und Urlaubsgeld spricht man schon gar nicht mehr an. 40- bzw. 42,5-Stunden-Wochen sind die Regel, getoppt von 25 Tagen Urlaub und erstmal vier Halbjahresverträgen. Ein »Guter« kann nach der Probezeit mit ca. 16 Euro die Stunde rechnen. Natürlich wird schon im Vorfeld Überstundenbereitschaft und Wochenendverfügbarkeit angemahnt. Damit würde ich mich sogar erheblich schlechter stellen als bei meinem letzten Arbeitgeberwechsel im Jahr 2003. Hallo! Ein Rückschritt von fast 15 Jahren, in denen die Produktivität jedoch enorm gestiegen ist? Glauben die Arbeitgeber wirklich, bei einer Bezahlung von 30 bis 40 Prozent unter Tarif ist die Motivation groß, 100 Prozent zu leisten?

Da klingen fünf Prozent wie eine Farce, ganz besonders für Leute wie mich. Bis zuletzt stand ich trotz schmerzhafter Zugeständnisse loyal hinter dem Betrieb und habe vieles auch vor ungehalteneren Kollegen mit den Problemen für die gesamte Branche durch die elek
tronischen Medien zu erklären versucht. Um 
am Ende, wenige Jahre vor dem Erreichen 
des Ruhestands, doch vor den Trümmern des Arbeitslebens zu stehen. Auch die von allen 
Seiten angemahnte private Vorsorge zusätzlich zur staatlichen Rente kippt, egal ob sie auf 
einer, zwei oder drei Säulen steht. Es ist schlichtweg finanziell nicht mehr zu leisten.

In anderen Ländern hätte das wohl schon lange mal zu einem Generalstreik geführt. Höchste Zeit! Mit punktuellen Streiks in einzelnen Betrieben und Branchen lässt sich nur wenig erreichen. ver.di ist doch in vielen Branchen vertreten. Warum nicht übergreifend streiken? Alle für einen, einer für alle. Wenn keine Spedition die im Falle eines Druckerstreiks verlagerten Produkte transportiert, hilft auch das.

In den 70er und 80er Jahren haben wir viel bewegt. Danach wurden die Gewerkschaften zum Papiertiger und kuschten viel zu oft vor Politik und Wirtschaft. Auch ich habe leider kein Patentrezept. Aber ich denke, die Gewerkschaften sollten wieder aggressiver auftreten. Also, tut etwas! Weckt die Kollegen mit Nachdruck auf, branchenübergreifend!

Mit kollegialem Gruß
Max Mustermann

 

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